Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
sie an den Nachttopf gestoßen zu sein, denn eine Pfütze aus kalter Pisse begann bereits die Bodenbretter zu verfärben. Die einzigen Kleider, die nicht dreckig aussahen, waren die Hose und das grobe Hemd, die sie als Tak der Fuhrjunge getragen hatte. Für das, was sie zu tun hatte, würden sie genügen. Es waren noch ein halbes Dutzend Silbermünzen in ihrer Börse, und sie schob sie in die Tasche von Tak.
Bis sie unten an der Treppe ankam, fühlte sie sich schon etwas mehr wie ein Mensch. Sie trat einen Augenblick auf die Straße hinaus, dann durch die Vordertür der Bank wieder nach drinnen.
»Schabe«, sagte sie, und der kleine Timzinae sprang auf.
»Magistra Cithrin«, erwiderte er. »Hauptmann Wester und Yardem sind gerade gegangen, um die Bezahlung von der Braumeisterin gleich nördlich der Mauern und von den beiden Metzgern im Salzviertel zu holen. Barth und Corisen Mout sind mit ihnen gegangen. Enen schläft hinten, weil sie mit der Nachtwache dran war, und Ahariel ist gegangen, um schnell ein paar Würste zu holen.«
»Du musst einen Botengang für mich erledigen«, sagte Cithrin. »Geh zum Kaffeehaus und teile dem Mann von der Gerbergilde mit, dass ich nicht da sein werde. Sag ihm, dass ich mich nicht wohlfühle.«
Die blinzelnden Membranen des Jungen klickten nervös über den Augen. »Hauptmann Wester hat gesagt, dass ich hierbleiben soll«, erklärte Schabe. »Enen schläft, und er wollte, dass jemand wach ist, falls …«
»Ich werde hier unten bleiben, bis jemand zurückkommt«, sagte Cithrin. »Ich fühle mich vielleicht wie der schleichende Tod, aber ich kann immer noch einen Schrei ausstoßen, wenn es nötig ist.«
Schabe blickte immer noch unsicher drein. Cithrin spürte einen wütenden Stich.
»Ich bezahle Wester«, sagte sie. »Und ich bezahle auch dich. Jetzt geh.«
»J…ja, Magistra.«
Der Junge schoss hinaus auf die Straße. Cithrin stand einen langen Augenblick im Eingang, sah den dunklen Beinen nach, die sich überkreuzten und streckten, während er lief. Weit entfernt auf der Straße wich er einem Karren aus, der mit frisch gefangenem Fisch beladen war, bog um die Ecke und verschwand. Cithrin zählte langsam bis zwölf, um ihm die Zeit zu geben, wieder aufzutauchen. Als er nicht zurückkam, ging sie hinaus auf die Straße und zog die Tür hinter sich zu. Der Wind blies ihr entgegen und wirbelte Staub und Stroh auf, aber sie machte sich mit zusammengekniffenen Augen auf den Weg zur Schenke.
»Guten Morgen, Magistra«, sagte der Wirt, während sich ihre Augen an die Düsternis anpassten. »Schon zurück?«
»Sieht so aus«, antwortete sie und fischte die Silbermünzen wieder aus der Tasche. »Ich nehme, was ich hierfür bekommen kann.«
Der Wirt nahm die Münzen, hob die Hand und ließ sie fallen, während er ihr Gewicht schätzte. »Eure Jungs wissen, wie man Wein durchbringt«, sagte er.
»Sie trinken ihn nicht«, erklärte sie grinsend. »Es ist alles für mich.«
Der Mann lachte. Es war eine neue Art der Lüge, die sie gerade erst entdeckt hatte, ganz heiter die reine Wahrheit zu erzählen und jeden um sich herum glauben zu lassen, es wäre ein Witz. Sie trinken ihn nicht; es ist alles für mich. Bis der Winter kommt, kann ich genauso gut am Pranger stehen wie frei sein. Nichts, was ich mache, spielt eine Rolle.
Er kam mit zwei dunklen Weinflaschen und einem kleinen Fass Bier zurück. Cithrin klemmte sich das Fass unter den Arm, nahm in jede Hand eine Flasche und wartete, bis er ihr die Tür öffnete. Nun kam der Wind von hinten, schob sie voran, als wollte er sie nach Hause bringen. Der Himmel über ihr war blau mit einem Überzug aus weißen Wolken hoch oben, aber es roch nach Regen. Der Herbst hatte in Porte Oliva den Ruf, raues Wetter zu bringen, und inzwischen waren die letzten Tage des Sommers angebrochen. Ein kleiner Wolkenbruch hin und wieder schien kaum eine Beschwerde wert zu sein.
Sie wollte nicht in die öffentlichen Räume zurückkehren und ging stattdessen auf ihre Tür zu. Es fiel ihr schwer, sich mit dem Fass unterm Arm die Treppe hinaufzuwinden. Oben knallte sie mit dem Ellbogen gegen die Wand. Der Aufprall war hart genug, um bis in die Finger zu prickeln, aber sie ließ die Flasche nicht fallen.
Sie hatte die Pissepfütze vergessen, aber sie fühlte sich nun wohl genug, ihr Fenster zu öffnen, um den Inhalt des Nachttopfs in die Gasse zu kippen. Sie wischte den Rest mit einem dreckigen Unterhemd auf und warf auch das aus dem Fenster. Sie hatte am Tag
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