Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
wäre. Man schob sie und Paerin die Stufen hinauf und dann in die luxuriöse Dunkelheit hinein. Komme folgte ihnen. Als der Fuhrmann anfuhr, schwankte das Ganze wie ein Schiff in einem Sturm. Bis sie am Palast ankamen, fühlte sich Cithrin erhitzt, verschwitzt und alles andere als gut. Ein Diener, dessen Rang sie nicht erschließen konnte, führte sie über weiße Marmorstufen zu einem Gebäude hinauf, das so groß war wie eine kleine Stadt. Der Palast des Königs. Von seinem Eingang aus konnte sie den schlafenden Drachen vor dem Grab der Drachen und den Turm des Rates von Abendstund sehen. Auf seine eigene Art war Carse eine schöne Stadt.
Was ihr am besten gefiel, dachte sie, war, dass sich in ihrer Mitte keine Grube befand, die hinab bis zur Hölle reichte.
Die Versammlungshalle war ein Balanceakt zwischen Prahlerei und Untertreibung. Die Farbe der Wandbehänge war so dunkel gehalten, dass man zweimal hinsehen musste, um ihre Qualität zu erkennen. Die Stühle waren alle von einfacher Machart, aber aus Palisander, Teak und mit Seide gepolstert, die so weich war, dass sie Angst hatte, sie zu zerreißen, als sie sich hinsetzte. Insgesamt prägte die Einrichtung das Bild eines Mannes, der wusste, dass er vornehm sein sollte, ohne geschmacklos zu wirken, und es nicht ganz geschafft hatte.
König Tracian war jünger, als sie erwartet hatte, obwohl er natürlich nicht der Mann war, gegen den Marcus gekämpft hatte. Das war Lady Tracian gewesen. Dennoch war es merk würdig, einem Mann zu begegnen, der nur ein paar Jahre älter als sie zu sein schien, und sich vorzustellen, dass er ohne Marcus’ Eingriffe überhaupt nicht hier sein würde. Auf dem Thron würde ein Frühlingssee sitzen, und Cithrin hätte ihr Leben ohne den Schutz von Marcus Wester bestritten. Und wenn Frühlingssee nicht so närrisch gewesen wäre, Marcus’ Familie zu töten …
Zu groß. Das alles war zu groß, das Gute und das Böse zu sehr miteinander vermengt. Und wie es auch war, König Tracian hatte ihnen die Erlaubnis gegeben, sich hinzusetzen.
»Ihr seht gut aus, Komme«, sagte der König.
»An manchen Tagen gut, an anderen schlecht«, erwiderte Komme mit einem Schulterzucken. »Ich hoffe, auch Eure kleinen Probleme sind klein geblieben?«
»Viel besser …«, sagte der König mit einem bitteren kleinen Lächeln, das Cithrin verriet, dass sie besser nicht erfuhr, worauf sich diese Anmerkung bezog. Kommes Lächeln war warm und offenbar aufrichtig, aber sie hatte das Gefühl, dass es womöglich immer so wirkte.
»Ich habe schon einiges über unsere Nachbarn und Vettern in Antea gehört. Über diesen Regenten. Wie haben wir den übersehen können?«
»Bis vor Kurzem war er ein Niemand«, sagte Komme. »Aus einem unbedeutenden Haus. Sein Vater war niemand Wichtiges.«
»Das Schicksal wandelt sich schnell«, erwiderte der König und beugte sich vor. »Was genau haben wir herausgefunden?«
Paerins kaum hörbares Ausatmen zeigte an, dass er die Führung übernehmen wollte. Cithrin hielt sich zurück.
»Die Lage in Antea war unruhig«, begann Paerin. »Sie hatten zwei Aufstände, der letzte davon führte zu einem langwierigen Kampf und dem Zusammenbruch mehrerer Adelshäuser. Sie haben einen ausgesprochen wirkungsvollen Krieg gegen einen alten Feind geführt. Sie haben einen König an dasselbe Gebrechen des Blutes verloren, das auch seinen Vater dahingerafft hat und das, wie wir annehmen müssen, früher oder später auch den nächsten König töten wird.«
Seine Stimme und Haltung änderten sich, wenn er auf diese Weise sprach, und Cithrin beobachtete ihn fasziniert. Er sprach bestimmt, ohne aggressiv zu wirken. Seine Gesten waren beherrscht, aber fließend. Sie war sicher, dass er alles genau auf diese Weise wiedergegeben hätte, ganz gleich, ob er es jemandem wie dem König vor ihm oder dem niedersten Diener dieses Hauses erzählt hätte. Sie waren jenseits von Klasse und Status, wenn auch nur einen Augenblick lang, und sie befanden sich in dem Bereich, in dem Paerin Clark die Meisterschaft erlangt hatte.
»Palliako hat ein unheimliches Talent dafür, einen Mythos um sich herum zu errichten. Aber letzten Endes ist seine Persönlichkeit unwichtig. Er unterliegt Zwängen, denen er nicht entkommen kann und an die er sich auch nicht allzu schnell anpassen wird.«
»Erzählt mir davon«, sagte der König.
»Er hat in beiden Königreichen den Großteil der Ernte verloren«, erklärte Paerin. »Wenn er aus dem Krieg mit Asterilreich keine
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