Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
hergerufen worden war. Simeon sagte nichts. Das Wasser plätscherte und murmelte. Dawson spürte ein wachsendes Unwohlsein, als der König weiterhin still blieb. Was als nachdenkliche Pause begonnen hatte, dehnte sich aus, bis es beinahe wie ein Vorwurf wirkte. Dawson blickte auf, bereit, sich zu verteidigen oder eine Entschuldigung vorzubringen.
Stattdessen stieß er einen Warnruf aus. Simeons Augen waren aufgerissen und leer und blickten ins Nichts. Seine Mundwinkel hingen herab. Der Gestank nach Pisse drang durch die Luft, während der Schoß des Königs sich stechend gelb verfärbte. Es war wie ein Bild, das einem Albtraum entsprungen war.
Und dann hustete Simeon, schüttelte den Kopf, blickte nach unten. »Oh«, sagte er. Er klang erschöpft. »Dawson? Ihr seid hier. Wie lange war es diesmal?«
»Ein paar Atemzüge lang«, antwortete Dawson. Seine Stimme bebte. »Was war das?«
Simeon erhob sich, blickte auf den Urinfleck auf seinem Gewand hinab, auf die Pisse, die seine Beine hinablief.
»Ein Anfall«, sagte er. »Nur ein kleiner Anfall. Es tut mir leid, dass Ihr das gesehen habt. Ich dachte, ich hätte sie für heute schon hinter mir. Könntet Ihr meinen Diener rufen?«
Dawson lief in den Gang und rief nach dem Bediensteten. Als der Mann kam, hatte er bereits ein frisches Gewand in der Hand. Auf seinem Gesicht lag kein Entsetzen, keine Überraschung. Dawson und der Diener blickten zur Seite, als der König seine beschmutzten Kleider auszog und neue anlegte. Als sie wieder allein waren, setzte sich Dawson auf den Rand des Brunnens. Alles war genauso wie zuvor, aber es gesehen zu haben machte es anders. Er fühlte sich, als würde er Simeon zum ersten Mal erblicken, und was er sah – was die ganze Zeit da gewesen war, ohne dass es aufgefallen oder angesprochen worden wäre –, entsetzte ihn. Was das Gewicht einer Krone gewesen zu sein schien, war plötzlich etwas Dunkleres und Schwerwiegenderes. Simeon lächelte ihn wissend an.
»So war es auch bei meinem Vater, als das Ende nahe war. An manchen Tagen geht es mir beinahe gut. An anderen … treiben meine Gedanken davon. Er war jünger, als er gestorben ist. Ich bin drei Jahre älter als mein Vater. Wie viele Männer können das von sich behaupten?«
Dawson versuchte etwas zu sagen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Als er es schaffte, war es kaum mehr als ein Flüstern. »Wie lange geht das schon so?«
»Zwei Jahre«, sagte Simeon. »Meistens ist es mir möglich gewesen, es geheim zu halten. Aber es wird schlimmer. Früher war es so, dass dazwischen Wochen oder Monate lagen. Nun sind es Stunden.«
»Was sagen die Kundigen?«
Simeon lachte leise, und der Klang war tiefer als das Lachen des Wassers. Auch sanfter. »Sie sagen, dass alle Menschen sterblich sind. Sogar Könige.« Simeon holte tief Luft und beugte sich vor, seine Unterarme auf den Knien, die Hände verschränkt. »Es gibt eine Blume, die angeblich dagegen hilft. Ich trinke den Tee immerzu, kann aber keinen Unterschied feststellen. Ich nehme an, ich würde schneller verfallen, wenn ich sie nicht hätte.«
»Es wird etwas geben. Wir können nach jemandem schicken …«
Sein alter Freund antwortete nicht. Es gab keinen Grund dafür. Dawson hörte die Ohnmacht in seinen eigenen Worten und war davon beschämt. Alle Männer starben, so war es immer gewesen, und so würde es immer sein.
»Ich wünschte, Eleanora und ich hätten Aster früher bekommen«, sagte der König. »Ich hätte ihn so gern als Mann gesehen. Mit einem eigenen Kind vielleicht. Ich erinnere mich daran, als Barriath zur Welt kam. Man scherzte überall darüber, dass der Junge Euch gefressen hätte. Ihr wart an all Euren Stammplätzen nicht mehr anzutreffen. Dafür habe ich Euch verabscheut. Ich fühlte mich zurückgelassen.«
»Es tut mir leid, Eure Majestät.«
»Kein Grund zur Entschuldigung. Ich habe es nur nicht verstanden. Dann kam Aster, und ich verstand es. Wenn wir ihn früher bekommen hätten … aber dann wäre es wohl nicht er gewesen, nicht wahr? Genauso wenig wie Jorey ein jüngeres Abbild von Barriath ist. Deshalb kann ich mir nicht einmal das wünschen. Dies ist die Welt, wie sie sein musste, damit mein Junge darin geboren wurde, und daher kann ich sie nicht hassen. Selbst wenn ich es will.«
»Es tut mir so leid, Eure Majestät«, sagte Dawson.
Simeon schüttelte den Kopf. »Hört nicht auf mich«, erwiderte er. »Ich hasse es, wenn ich so werde. Herumheule wie ein Schuljunge. Genug. Ich wollte mit
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