Dolly - 06 - Abschied von der Burg
ja?“
„Ich möchte zuerst gehen“, sagte Felicitas. „Wer feuchtet die Pille an und legt sie vor Beginn der Unterrichtsstunde auf den Kaminsims?“
„Das übernehme ich“, sagte Steffi.
Am Mittwoch nachmittag gab es viel Aufregung und Gekicher unter den Mädchen. Fräulein Parker fragte sich, was das wohl zu bedeuten hatte.
Kurz vor dreiviertel drei eilte Steffi mit der feuchten Pille und dem Nadelkissen die Treppe hinauf. Sie legte Pille und Nadelkissen sorgfältig oben auf den Kaminsims und machte sich davon.
Kurz darauf füllte sich das Klassenzimmer. Mademoiselle traf ein. Dann kam Felicitas.
„O bitte, Mademoiselle, hier ist eine Nachricht für Sie“, sagte sie und legte einen Umschlag vor Mademoiselle. Darauf stand in verstellter Handschrift „An Mademoiselle Rougier“.
„Aber Felicitas, mein Kind, ich heiße Dupont, nicht Rougier“, sagte Mademoiselle. „Das ist für meine Kollegin. Bringe es ihr in die fünfte Klasse.“
Felicitas stand ein wenig hinter Mademoiselle. Die Klasse schaute sie argwöhnisch an. Was hatte dieses breite Grinsen auf dem Gesicht von Felicitas zu bedeuten? Sie erblickten den Magneten hinter Mademoiselles Kopf und sahen, wie Felicitas ihn und die Haarnadeln in der Hand versteckte. Sie nahm den Briefumschlag und verschwand eilig. Das war so schnell gegangen, daß die Klasse den Atem anhielt. Mademoiselle merkte bald, daß mit ihrem Haar etwas nicht in Ordnung war.
Sie hob die Hand und prüfte.
„O la la! Mein Haar ist wieder aufgegangen!“
Wie beim ersten Mal suchte sie vergeblich nach ihren Haarnadeln, und da sie wußte, daß sie nichts finden würde, ging sie verwirrt und aufgeregt in ihr Zimmer. Was war bloß in letzter Zeit mit ihrer Frisur los und mit den Haarnadeln! Mademoiselle erwog ernsthaft, sich die Haare kurz schneiden zu lassen. Sie brachte ihre Frisur in Ordnung und steckte eine Menge Haarnadeln in ihren Dutt. Dann eilte sie in die Klasse zurück.
Kaum hatte sie Platz genommen, da begann das Zischen. Die Pille auf dem Kaminsims schrumpfte und stieß dabei ein Zischen aus.
„SssssssssssssSSSSSSSssssssss!“
Die Schülerinnen hoben die Köpfe.
„Was ist das für ein Geräusch?“ fragte Mademoiselle unwillig. „Alice, bist du das?“
„Nein, ich zische nicht“, sagte Alice grinsend. „Wahrscheinlich kommt es von draußen, Mademoiselle.“
„Nein“, behauptete Martina. „Ich glaube, es ist hier im Zimmer.“ Das Zischen wurde lauter. „SSSSSSSS!“
„Es klingt wie eine Schlange“, sagte Dolly. „Die zischen so. Hoffentlich ist es keine Kreuzotter!“
Mit einem Schrei sprang Mademoiselle auf. „Eine Schlange? Nein, nein, hier kann doch keine Schlange sein!“
„Ja, um alles auf der Welt, was ist es dann?“ fragte Susanne verwirrt. Alle saßen mucksmäuschenstill und lauschten.
„SSSSssssssssssssSSS!“ machte die Pille bald laut, bald leiser. Alice stand auf. „Ich sehe mal nach. Es kommt vom Kamin“, sagte sie. Sie ließ sich auf Hände und Knie nieder und lauschte. „Es kommt vom Sims!“ rief sie überrascht.
„Ich greife mal hinauf.“
„Nein, nein, Alice, bitte nicht“, jammerte Mademoiselle. „Da ist eine Schlange!“
Aber Alice reckte sich bereits hoch. Sie glaubte nicht an die Schlange. Ihre Hand fühlte etwas, und sie holte einen Gegenstand vom Sims.
„Ach du lieber Himmel!“ sagte sie verdutzt. „Sehen Sie, Ihre Haarnadeln, Mademoiselle, in einem Nadelkissen!“
Die anderen trauten ihren Augen nicht. Wie gerieten Mademoiselles Haarnadeln auf den Kaminsims? Niemand hatte sich doch dort in der Nähe aufgehalten? Und woher kam das Zischen?
„Hat jemand eine Taschenlampe?“ fragte Alice. „Hallo – das Zischen hat aufgehört!“
So war es. Die Pille hatte ihr Werk getan und war zu feinem Staub zerfallen. Als Alice die Taschenlampe anknipste, sich auf einen Stuhl stellte und auf dem Sims nachschaute, war nichts mehr zu sehen.
Mademoiselle war sehr böse. Sie schimpfte und tobte. „Ah, non, non, non!“ schrie sie. „Das ist nichtgut von dir, Alice! Bist du nicht in der sechsten Klasse? C’est abominable! Was für ein Benehmen! Erst nimmst du alle meine Haarnadeln, versteckst sie auf dem Kamin, und dann zischst du!“
„Das war Alice nicht, und das waren wir nicht, Mademoiselle!“ protestierte Dolly. „Wir haben nicht gezischt. Das hätten Sie doch sonst gesehen!“
Aber Mademoiselle traute ihnen wohl alles zu. Sie war fest davon überzeugt, daß Alice oder eine andere ihr einen Streich gespielt hatte. Sie nahm das
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