Dolly - 16 - Dollys schoenster Sieg
mal.“
AnnaSophie lief vor zu Fräulein Innig, um sich zu erkundigen. „Darüber sprachen wir gerade. Ja, laßt uns nach einem schönen
geschützten Platz Ausschau halten! In der Mittagswärme können wir
uns ruhig in eine Wiese setzen.“
„Wie wär’s da vorn?“ schlug Franziska vor. „Da haben wir eine
Wand aus Sträuchern im Rücken, die uns gegen den Wind schützt.
Und einen herrlichen Blick!“
„Das ist eine gute Idee. Aber seid vorsichtig, daß ihr euch nicht eure
Kleidung am Stacheldraht zerreißt.“
Zu zweit halfen sie sich durch den Zaun. Dann rannten sie um die
Wette zu ihrem Picknickplatz und ließen sich im sonnendurchwärmten
Gras nieder.
„Ein herrlicher Platz!“ lobte Fräulein Innig. „So still, und der
zauberhafte Ausblick! Hier kann man wirklich Ruhe und Frieden
finden.“
Fräulein Innig zog ihren Mantel aus, um sich darauf zu setzen. Den
kostbaren Schal hängte sie vorsichtig über einen Zweig, wo er wie
eine leuchtende Fahne sanft im Wind wehte.
Dann packte jeder sein Picknick-Päckchen aus.
„Hm, Hühnchen mit Majo!“ rief Martina begeistert.
„Und Leberpastete!“ fügte Franziska hinzu.
„Habt ihr gesehen? Schokoladenriegel und Kekse!“
„Harte Eier!“
„Tomaten und eine Gewürzgurke!“
„Äpfel aus dem Garten vom Möwennest, das sind die besten, die es
auf der Welt gibt!“
„Und gegen den Durst Zitronenlimonade!“
„Jetzt weiß ich doch wenigstens, daß es sich gelohnt hat, die ganze
Zeit so viel zu schleppen!“
So überschrien sie sich gegenseitig, lachend und die Schätze
einander entgegenhaltend.
„Ja, wirklich köstlich“, bestätigte Fräulein Innig. „Nun laßt es euch
schmecken, meine Lieben!“
„Danke, gleichfalls, Fräulein Innig!“ kam es im Chor zurück. „Ich wette, die aus der Vierten mit ihrer Strandparty hatten nicht so
was Tolles zu essen“, bemerkte Verena vergnügt.
„Das schon – aber was nützt einem das, wenn alles mit Sand paniert
ist!“ erklärte Uschi lachend.
„Und vor allem hatten sie es nicht so friedlich! Uns wird kein Sturm
hier vertreiben!“
„Und kein Zelt wird uns davonfliegen!“
„Die Ärmsten, sie können einem wirklich leid tun!“
Sie waren mitten im schönsten Schmausen, da knackte es hinter
ihnen im Gebüsch. Ein Rauschen von Blättern folgte, begleitet von
einem gewaltigen Schnauben und Brummen. Wie versteinert starrten
sie in die Richtung, aus der die seltsamen Geräusche kamen. Nur
Fräulein Innig war so in den Verzehr ihres Leberwurstbrotes vertieft,
daß sie zunächst nichts merkte.
Erst der Anblick von AnnaSophies blassem Gesicht, den angstvoll
geweiteten Augen, machte sie aufmerksam.
„Was ist denn Kind? Ist dir nicht gut?“
„Da!“ wisperte AnnaSophie. „Da, hinter Ihnen!“
Fräulein Innig drehte sich um. Der Anblick, der sich ihr bot,
entsetzte sie so, daß ihr Blut sich augenblicklich in winzige
Eiskristalle zu verwandeln schien. Wie gelähmt starrte sie auf den
riesigen Kopf mit den glänzenden Augen und den zwei mächtigen
Hörnern.
Die Stimme versagte ihr. Hatte sie zunächst noch gemeint, es mit
einem Mammut, einem Urwelttier zu tun zu haben, so kam ihr jetzt
die Erleuchtung.
„Ein Stier!“ flüsterte sie heiser. „Vorsicht! Nur keine Panik! Wir
müssen uns ganz langsam zurückziehen. Wenn wir ihn nicht reizen,
wird er uns auch nicht angreifen.“
„Und ich hab ein rotes Kleid an!“ jammerte Helga. „Wenn er das
sieht, wird er sich auf mich stürzen!“
„Zieh es aus, schnell! Und dann geht alle langsam rückwärts zum
Zaun. Ich gebe euch Deckung!“ sagte Fräulein Innig, zitternd vor Mut
und Entschlossenheit, ihre Kücken vor dem Untier zu beschützen. „Ruhig, ganz ruhig, mein Freund! Ich tue dir nichts, wir lassen dir deine Weide, nur ruhig!“ redete sie beschwörend auf den Stier ein, dessen schwerer Leib sich nun langsam durch das Gebüsch schob. Schnaubend senkte er den Kopf und starrte – wie es schien – grimmig
zu ihnen herüber.
„Hier, geben Sie ihm den Apfel!“ flüsterte Juliane aufgeregt. „Vielleicht mag er auch Tomaten?“ schlug Iris vor. Eifrig kramten
sie in ihren Beuteln nach Leckerbissen, die geeignet waren, das wilde
Tier zu versöhnen.
Der Stier schlug mit dem Kopf hin und her und gab einen dumpfen
Laut von sich, der so aus den Tiefen des schweren Leibes kam, daß
die Erde davon zu erzittern schien.
Iris drückte Fräulein Innig eine Tomate in die Hand, während die
Gruppe langsam rückwärts ging, den Blick fest auf den Stier geheftet. „Um Himmels
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