Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
das Segel sinkt.
Niels hat beim ersten Test den Eindruck, dass endlich die Probleme im Wind behoben
sind. Er nimmt volle Geschwindigkeit auf, stemmt sich gegen den Zug des Schirms
und steigt wie in einem Fahrstuhl in den Himmel.
Es ist geschafft.
Wir können wie die fliegenden Fische durch die Luft sausen, denkt er und stößt laute
Jubelschreie aus.
»Warst du
das, den wir gesehen haben? Der mit dem Segel auf dem Wasser?«, fragt einer dieser
rotfleckigen, blondgebleichten Hippiegestalten am Strand, als Niels von Schweiß
und Salzwasser glänzend wieder an Land marschiert. »Das Ding ist der reine Wahnsinn!
Ich dachte schon, du wärst Kilian Martens persönlich!«
Niels Skov
faltet mit geschwellter Brust das Segel zusammen, verstaut es im Rucksack, klemmt
das kleine Brett unter den Arm und marschiert grinsend an den Verehrern vorbei auf
den verrosteten Pritschenwagen zu, in dem Ole am Steuer auf ihn wartet. Auf der
Rückfahrt, die Küste entlang zu Kilians Haus in den Bergen, bleiben Menschen stehen
und winken. Die beiden verrückten Drachentypen sind mittlerweile vielen bekannt.
»I’m flying,
through the air and riding a surfboard!« Niels’ Stimme klingt wie in Trance, ein
nicht enden wollender Wortschwall. »Die ganze Zeit hatten wir nur einen Drachen
für den Strand, mit dem neuen Schirm haben wir jetzt einen, mit dem wir uns aufs
Meer hinauswagen können.«
»Bleib am
Boden, Niels«, knurrt Ole. »Solange wir mit dem Ding nicht am Wind fahren können,
werden wir keinen der großen Hersteller auch nur zu einem müden Lächeln bewegen.«
»Du bist
und bleibst ein ständiger Pessimist, Ole! Ich dachte, die vielen Jahre mit Kilian
hätten positiver auf dich abgefärbt. Der hat die Worte ›gibt es nicht‹ nicht in
seinem Repertoire.«
»Wenn wir
zusammen weitermachen wollen, dann halt den Namen aus unserer Zusammenarbeit heraus,
klar!«
»Okay, okay!
Aber du weißt selbst, was für ein schlechter Springer ich beim Windsurfen bin. Wenn
ich das jetzt so hervorragend mit unserem Segel schaffe, was kann dann erst ein
echter Spezialist mit unserem Kite anstellen?«
»Wir müssen
am Wind fahren, Niels, alles andere zählt nicht! Lass uns austüfteln, wie wir den
Anstellwinkel des Schirms zum Wind regulieren können.«
»Dann bräuchten
wir ein komplett neues Segel, Ole. Einen neuen Prototypen herzustellen, ohne einen
guten Sponsor im Boot, unmöglich!«
»Der Anstellwinkel,
das muss mit Hilfe der Leinen in der Luft geändert werden. Bis jetzt haben wir alle
unsere Kites mit zwei Leinen gesteuert. Das funktioniert aber nur, wenn der Wind
den Kite schiebt. Steht der Schirm waagerecht zum Wind, dann fängt er an zu flattern,
bietet keinen Widerstand mehr und wir verlieren den Vortrieb.«
»Was wäre,
wenn wir vier Leinen nehmen? Damit müssten wir das Problem in den Griff bekommen.«
»Mit vier
Leinen werden wir zwei Probleme mehr haben, Niels! Sie werden sich verheddern, das
bringt nichts!«
»Doch, Ole!
Vertrau mir, mit einem Vierersystem werden wir am Wind fahren. Wir brauchen nur
eine gebogene Lenkstange, ich sehe das schon vor mir. Wenn wir im Haus sind, fange
ich sofort damit an. Ich baue uns einen Prototypen, versprochen!«
Swensen erreicht den Parkplatz vor
der Fischräucherei. Niels Skov steht bereits an der offenen Heckklappe seines Wagens
und pfeffert das Surfbrett ziemlich unsanft auf die Ladefläche. Der Hauptkommissar
bemerkt, dass er sich nur noch schwer kontrollieren kann. Der Mann öffnet die Fahrertür
und hängt einen Moment quer über dem Sitz, um die Ablage durchzuwühlen. Als er wieder
auftaucht, hat er einen Briefumschlag in der Hand und hält ihn Swensen entgegen.
»Hier!«,
sagt er mit geblähten Nasenlöchern. »Das Dokument habe ich heute aus München bekommen!«
Swensen
erkennt ein rotes Logo, daneben die Schrift: European Patent Office.
»Ein Schweinehund
ist das! Er hat das Vierleinensystem, meine Idee, still und heimlich als Patent
angemeldet, ohne mir vorher ein Wort darüber zu sagen. Das ist eine elende Gaunerei!
Ich … ich … mir fehlen die … ich kann das nicht begreifen! Und er hat es mir sogar
in einem Brief mitgeteilt und nur über die jährlichen Gebühren gejammert. Ich habe
dann gleich an das Patentamt in München geschrieben, damit man mir die Patentschrift
zusendet.«
Niels Skov
reißt mehrere Schriftstücke aus dem Umschlag, faltet sie auf und schlägt mit der
flachen Hand darauf.
»Sein Name
steht drauf! Ungeheuerlich!«, schimpft er aufgebracht.
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