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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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still auf seiner Hand und putzte sich entspannt die Flügel. Offenbar gefiel es ihm dort.
    »Aber selbst dann wäre die Sehnsucht nach Landschaften wie diesen weiterhin tief in uns verankert. Und wir würden noch immer ein offenes Kaminfeuer lieben und könnten noch immer stundenlang in seine Flammen schauen. Weil uns das noch immer an die Zeit erinnern würde, in der wir hier draußen in der Steppe um ein Lagerfeuer saßen.«
    Siebeneisen dachte an die langen Stunden, die er vor kurzem an Deck des Kreuzfahrtschiffes verbracht hatte, um den vorbeitreibenden Eisbergen zuzusehen. Er wusste genau, von was O’Shady sprach. Egal, wie diese Hetzjagd um die Welt ausgehen würde: Diese Erkenntnis würde ihm bleiben. Ihm fiel das Amulett ein, das er draußen in der Steppe gefunden hatte. Er zog es aus seiner Hosentasche und zeigte es dem Iren.
    »Wo haben Sie das her?«
    »Gefunden. Da draußen. Als ich vom Pferd gefallen bin.«
    »Hm.« O’Shady nahm den Anhänger in die grashüpferfreie Hand. Er betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn.
    »Können Sie lesen, was da draufsteht?«
    »Ja.« O’Shady blickte Siebeneisen in die Augen. »Darf ich Ihnen einen Tipp geben? Behalten Sie das nicht. Geben Sie das den Mongolen. Und sagen Sie ihnen, wo Sie es gefunden haben.«
    »Ist es wertvoll?«
    »Es hat keinerlei materiellen Wert, wenn Sie das meinen. Ein Stück Kupfer mit Inschrift.« O’Shady gab Siebeneisen den Anhänger zurück. »Es sollte trotzdem in der Mongolei bleiben.«
    Siebeneisen wartete einen Moment auf weitere Erklärungen, aber O’Shady hatte offenbar beschlossen, dass alles gesagt war. Er betrachtete nun wieder den Grashüpfer, der noch immer völlig regungslos in seiner Hand saß. Siebeneisen wusste nicht, ob ein Insekt wirklich schlafen konnte – dieses hier wirkte, als ob es in eine Art Koma gefallen sei. Er betrachtete O’Shady, der in die Landschaft hinaussah. Er war kein Mongole, er war hier nicht geboren, besaß hier keine Wurzeln, und dennoch hatte Siebeneisen noch nie einen Menschen getroffen, der so eins zu sein schien mit seiner Umgebung wie dieser Mann mit diesem Land. Als ob er und die Mongolei füreinander bestimmt waren und bloß eine Volte des Zufalls dafür gesorgt hatte, dass er auf einer steppenlosen Insel im Atlantik das Licht der Welt erblickt hatte.
    »Haben Sie eigentlich einmal daran gedacht, dass einer der Erben das Geld möglicherweise überhaupt nicht möchte?« O’Shady streichelte den Grashüpfer in seiner Hand. »Weil er zufrieden ist mit dem Leben, das er hat? Weil er ahnt, dass eine solche Summe all das zerstören würde, für das er lebt?«
    Da war es dann also. Ganz schnell. Wie nebenbei dahingefragt. Siebeneisen war nicht wirklich schockiert. Eigentlich überhaupt nicht. Wenn man ihn vorher gefragt hätte, was er denn tun würde, wenn einer der Erben sein Erbe ausschlage – wahrscheinlich hätte er das für eine absurde Vorstellung gehalten. Oder entgegnet, dass ihm schon die geeigneten Argumente einfallen würden, um den Mann zu seinem Glück zu zwingen. Jetzt aber, wo das Undenkbare gerade dabei war, handfeste Realität zu werden, blieb Siebeneisen völlig gelassen.
    »Nein, das haben wir uns wohl nicht wirklich überlegt. Eigentlich haben wir uns alle nur Gedanken gemacht, was wäre, wenn wir einen der sieben fehlenden Erben nicht auftreiben können. Aber nicht, dass einer seinen Anteil nicht haben möchte.«
    »Das Erbe wird nicht ausbezahlt, wenn nicht alle gemeinsam zustimmen?«
    »Ja. Das ist die Bedingung.«
    O’Shady schwieg. Er betrachtete noch immer den regungslosen Grashüpfer in seiner Hand. Das Tier hatte sich etwas nach links geneigt. Es sah aus, als lehnte es am Handballen des Iren. Wenn man bessere Ohren hätte, würde man es jetzt wahrscheinlich leise schnarchen hören, dachte Siebeneisen. Ein sanfter Wind kam auf. Er spürte, wie sich die Kühle der Nacht über die Hügel heranpirschte.
    »Lassen Sie uns ins Lager gehen. Am Ende eines solchen Tages muss man einen Wodka zusammen trinken.« O’Shady stand auf. Er pustete sanft in seine flache Hand. Der Grashüpfer erwachte. Einen Moment blieb er noch sitzen. Dann sprang er zu seinen Kumpels ins Gras.
    Als sie zurückgingen, bemerkte Siebeneisen aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Er drehte den Kopf: Auf dem Hügel neben ihnen stand ein Wolf. Auch O’Shady blickte zu der Silhouette hinüber.
    »Schwer zu sagen.« Der Ire schien zu ahnen, was Siebeneisen dachte. »Ist in diesem Licht kaum zu unterscheiden.

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