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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Könnte auch einer der Hunde sein.«
    Sie beobachteten das Tier. Es stand vollkommen regungslos und sah in ihre Richtung.
    »Ich kann es wirklich nicht sagen.« O’Shady kniff die Augen zusammen. »Die Stunde zwischen Hund und Wolf – kennen Sie die Redewendung? Wenn nicht klar ist, mit was man es zu tun hat?« Er sah Siebeneisen an. Dann ging er weiter Richtung Lager. Als Siebeneisen erneut zu dem Hügel hinübersah, war das, was ein Wolf oder auch nur ein Hund war, verschwunden.
    Am nächsten Morgen benahm sich Uchka der Fahrer, als sei er um sieben ins Bett gegangen und habe anschließend elf Stunden tief und fest geschlafen. Er scherzte mit den Schrumpelgroßmütterchen, rannte mit kleinen Kindern auf den Schultern zwischen den Jurten umher und forderte jeden zum Singen auf, der sich gerade mühsam und verkatert aus den Decken wickelte. Anschließend erledigte er ein paar kleinere Reparaturen am Auto, signalisierte, dass sie bald aufbrechen könnten und pfiff und sang und lärmte bei alldem unerträglich munter vor sich hin. Siebeneisen wusste natürlich, dass der Mann bluffte. Uchka der Fahrer musste hundemüde sein. Im Laufe des Abends hatte er unglaubliche Mengen Wodka konsumiert und sich zudem völlig in seiner Funktion als Chorleiter verausgabt. Anfangs waren lediglich die Mongolen an seinem Feuer zu soliden Reiterliedersängern ausgebildet worden. Als dann aber der Abend voranschritt und der Mond wie ein kaltgeschmiedeter Krummdolch über der Steppe hing, war Uchka der Fahrer in die Mitte der Feuer gewankt. In den folgenden zwei Stunden war es ihm gelungen, so gut wie alle Mitglieder der beiden Clans zu einem großen Chor zu vereinen. Anfangs hatte Siebeneisen das alles fasziniert beobachtet, das Einstudieren der Verse, das Üben der korrekten Einsätze, die Geduld und Unermüdlichkeit des Dirigenten. Als die Fischerchöre des 20. Bezirks dann aber das erste Mal in voller Lautstärke Aylen und Shudlen gepriesen hatten und gleich danach den Tee der Mutter, mit viel Milch und ein wenig Salz, da hatten er und Lawn beschlossen, sich einen Schlafplatz außerhalb des Lagers zu suchen. Bei dieser Geräuschkulisse mussten sie keine Angst vor Wölfen haben; Wölfe vermieden instinktiv Orte, an denen ihnen ein Tinnitus droht. Sie hatten sich Decken und Schafsfelle genommen und waren im Mondlicht einen Hügel hinaufgelaufen. Und dann lagen sie gut verpackt unter dem Himmel der Mongolei, und Siebeneisen hatte den romantischen Artikel aus dem Flugzeug aus der Tasche holen und ihn Lawn vorlesen wollen, aber da war sie auch schon eingeschlafen, und er selbst keine zwei Minuten später ebenfalls.
    Und nun war es Morgen, und gleich sollten sie nach Ulan Bator aufbrechen. Das Wetter war umgeschlagen. Gelbliches Schlierengewölk bedeckte einen Himmel, der aussah, als müsse er sich demnächst übergeben. Es war unerträglich schwül. Dünne Sandhosen tänzelten über die Steppe, angetrieben von einem scharfen Wind. Siebeneisen beobachtete, wie sich aus der Ferne der Regen näherte, ein dunkelgrauer Vorhang aus feinen Streifen, der dem Land jedes Licht zu nehmen schien. Es blitzte. Der Donner klang, als galoppierten zehntausend Pferde über die Hügel auf sie zu.
    »Uchka der Fahrer will jetzt aufbrechen.« Der Mongole schaute auf die Wetterwand, die mit erstaunlicher Geschwindigkeit näher kam. Er schien allmählich etwas nervös zu werden.
    »O. k. Machen wir. Einen Moment noch.«
    Während Lawn sich von den Schrumpelgroßmütterchen verabschiedete, ging Siebeneisen rasch zu den beiden Schamanen hinüber und überreichte ihnen sein Fundstück. Er hatte den Anhänger in ein Stück Stoff verpackt, damit das Ganze wie ein kleines Präsent aussah. Genau wie das kleine Päckchen, das ihm neulich in New Orleans die Voodoo-Priesterin zum Abschied überreicht hatte.
    »Bitte erst öffnen, wenn ihr zu Hause seid!«, sagte er zu den Schamanen, bevor ihm einfiel, dass das Nomaden gegenüber eine ziemliche unsinnige Bemerkung war.
    »Wo ist O’Shady?« Er konnte den Iren nirgendwo entdecken. »Kämmt er Ziegen aus? Will er nicht mit in die Stadt?«
    »Uchka der Fahrer hat gesehen, wie er das Lager verlassen hat. Sehr früh. Es war noch dunkel.«
    »Er ist gar nicht mehr hier?« Siebeneisen war irritiert. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass der Ire bei ihrem Gespräch am Abend zuvor etwas von einem frühen Aufbruch gesagt hatte. Im Gegenteil: Er war davon ausgegangen, dass er mit ihnen zurück nach Ulan Bator fahren würde. Was

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