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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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möglich also, dass Nathan Ó Cinnéide an diesem bezaubernden Morgen der einzige Dubliner war, der die Schönheit seiner Heimatstadt komplett ignorierte. Und stattdessen in Gedanken an allem und jedem herummäkelte, während er langsam und lustlos Richtung Kanzlei trödelte.
    Gerade eben war ihm beispielsweise ein Mann entgegengekommen, der ein T-Shirt mit einer aufgedruckten Gletscherlandschaft trug. Als ob Hochsommer wäre! Und auf der anderen Seite des Flusses spazierte doch tatsächlich ein Farbiger in kurzen Hosen und einer Art Safarihemd. Der Notar überprüfte den Sitz seines Schals unter dem Mantel. Er versuchte, an etwas Nettes und Aufheiterndes zu denken, was ihm aber partout nicht gelingen wollte. Stattdessen ging ihm der anstehende Termin am Mittag nicht aus dem Kopf. Niemals in seiner Laufbahn hatte er schon einmal einen ähnlichen Fall erlebt. Keinen, bei dem es auch nur annähernd um so viel Geld ging. Keinen, bei dem auch nur ansatzweise ein solcher Aufwand betrieben worden wäre, um die Voraussetzung für die Auszahlung eines Erbes zu erfüllen. Vor allem aber noch keinen, bei dem er es mit einer Ansammlung derart exzentrischer Figuren zu tun hatte. Nein, das waren keine Vorurteile. Diese Leute waren mehr als nur sonderbar. Alle. Ohne Ausnahme. Die einen mehr, die anderen weniger.
    Dieser Erbe aus New Orleans zum Beispiel, der ihn gestern angerufen hatte und wissen wollte, ob es an diesem Morgen irgendwo in Dublin eine Auktion mittelalterlicher Ritterrüstungen geben würde: Auf diese Idee würde man doch selbst nie und nimmer kommen. Und was wollte der andere? Die Adressen von Wollfachgeschäften? Unfassbar. Und die Deutschen erst! Ó Cinnéide erinnerte sich nur allzu gut an das Treffen mit dem einzigen Erbberechtigten, der zur Beerdigung der steinalten Claire O’Shady erschienen war. Er hatte damals befürchtet, dass dieser Seamus Brothaigh Donnchadh O’Shady in seinem Büro kollabieren würde, so schwitzte und schnaufte sein Besucher. Und heute würde er auch noch seinen Mitarbeiter mitbringen. Der Mann war ihm zu Hause zur Hand gegangen, als es um die Logistik der Erbensuche ging. Dieser Wipperfürth hatte ein krankhaftes Mitteilungsbedürfnis. In den vergangenen Monaten hatte er ihm permanent E-Mails geschickt, in denen er die Suche nach den anderen Erbberechtigten bis ins kleinste Detail schilderte. Von diesen Mails waren an manchen Tagen gleich mehrere gekommen, so dass Ó Cinnéide einen eigenen Ordner in seinem Computerprogramm für sie hatte anlegen müssen. Ihm als Notar und Nachlassverwalter waren diese Details der Suche völlig gleichgültig, das hatte er Wipperfürth immer wieder zu erklären versucht. Ohne Erfolg. Vielleicht auch deshalb hegte er eine leise Sympathie für den dritten Mann, diesen Siebeneisen. Den, den die beiden losgeschickt hatten, um alle anderen zu suchen. Der konnte einem leidtun, das war gewiss.
    Ó Cinnéide war nun an der Half Penny Bridge angekommen. Er beschloss, sich für einen Moment auf eine Bank in die Sonne zu setzen, solange die Bank noch in der Sonne stand, in dieser Stadt konnte man sich ja nie sicher sein. Praktischerweise wurde gerade ein Platz frei; ein Mann mit einem seltsamen Hut auf dem Kopf stand auf und ging Richtung Brücke davon. Ó Cinnéide sah ihm nach und wunderte sich über die Mode von heute, die so tat, als lebe man im 16. Jahrhundert, aber was wusste er denn schon. Der Notar tastete nach dem Brief in der Innentasche seines Jacketts und seufzte leise, als er durch den Stoff das Papier fühlte. Das Schreiben war ihm gestern Nachmittag durch einen Kurier zugestellt worden. Nachdem er es gelesen hatte, war er im Dead Cromwell gelandet, statt nach Hause zu gehen. Und ziemlich lange geblieben. Die Band fiel ihm wieder ein, gute Musiker waren das. Vor allem der Sänger war ziemlich überzeugend. Ein wenig auffällig bandagiert, der Knabe, wahrscheinlich eine Schlägerei, die er besser nicht begonnen hätte. Aber singen konnte er! Ó Cinnéide hatte schon etliche Elvis-Imitatoren gehört, aber so gut wie der von gestern Abend war noch niemand gewesen.
    Die Erinnerung an den Abend im Dead Cromwell machte ihn durstig. Und ein paar Minuten war ja auch noch Zeit. Auf keinen Fall wollte er vor zwölf in der Kanzlei sein, mit Sicherheit saßen der schnaufende O’Shady und dieser Wipperfürth bereits im Büro und warteten auf ihn. Ó Cinnéide sah sich um: Gegenüber lag ein Kurzwarengeschäft, der Verkäufer zeigte einem Kunden gerade einen

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