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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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etwas angeschlagen und seit ungefähr 117 Stunden auf den Beinen. Gefrühstückt habe ich am Südzipfel von Südamerika.«
    Lawn schmunzelte. Ihre Oberlippe legte sich ein kleines Stück über die untere. Wenn er nicht aufpasste, würde es tatsächlich passieren, dachte Siebeneisen. Vielleicht war es das auch schon.
    Lawn winkte den Kellner aus dem Dunkeln heran. »Dann lass uns losgehen. Wir schauen mal, ob wir den Mann von deinem Fax treffen.«

22
    Nach einem romantischen Kerzenlicht-Dinner und einem Gespräch über Geister (beziehungsweise Entitäten) konnte einen ein kurzer Spaziergang über die Bourbon Street auch aus entlegener spiritueller Höhe ziemlich rasch auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Lawn hatte sich bei Siebeneisen eingehakt und ihn auf die berühmteste Ausgehmeile der Stadt gezogen. Es regnete nicht mehr, die Luft war schwül und klebrig, seit Sonnenuntergang war es höchstens zwei oder drei Grad kühler geworden. Siebeneisen hatte eigentlich damit gerechnet, dass sich auf der Bourbon Street eine Jazzkneipe an die nächste reihte, stattdessen donnerte schlimmer Rap aus Stripclubs, durch deren geöffnete Türen man die Umrisse der Tänzerinnen hinter Leinwänden sehen konnte. Es gab Läden mit S / M -Zubehör, »Frozen Daiquiri«-Stände und Türsteher, die Passanten in Karaoke- und All-you-can-eat -Läden hineinzuzerren versuchten, es gab Shops für Vampirverkleidungen und welche für T-Shirts mit I-pee-in-the-shower -Aufdrucken, bloß Jazz gab es keinen. Mitten auf der Straße stand ein regungsloser Bärtiger mit einem Holzkreuz, auf dem eine ins Gebälk eingelassene, wild flackernde Leuchtdiodentafel den Passanten alttestamentarische Mahnungen entgegenschleuderte. Um ihn herum streckten schweigende Laienprediger den Touristen Handzettel entgegen. Um sich im Gedränge nicht zu verlieren, trugen die amerikanischen Besucher Plastikschilder mit »Jim« oder »Nancy«, bunt schillernde »Adventure Tour«-Aufkleber oder Halsreifen aus blau fluoreszierendem Plastik und schauten mit einer Mischung aus Lust und Entsetzen nach oben. Denn auf den Balkonen der Bourbon Street feierten die Jungen, und wenn die Damen aus Kentucky oder Iowa genügend Rum-Cocktails intus hatten, lüfteten sie zum Jubel der Menge unter sich für zwei Sekunden ihre T-Shirts und ließen sich weitere Rum-Cocktails spendieren. Siebeneisen vermutete, dass diese zwei Sekunden für viele dieser Menschen den Höhepunkt ihrer Jugend darstellten. Am nächsten Morgen flogen sie dann wieder nach Hause. Nach Kentucky. Oder Iowa.
    Zwei Ecken weiter war von all dem Rummel faszinierenderweise nichts mehr zu spüren. Überhaupt nichts mehr. Sie waren in die St.-Ann-Street eingebogen und gleich darauf in die Burgundy, und mit einem Mal hatte New Orleans sich verwandelt – als ob es sich plötzlich nicht mehr in der Gegenwart hatte festhalten können und in der Zeit zurückgerutscht war. Es war still, ein warmer Wind hatte den Weg ins French Quarter gefunden, von irgendwoher trug er den tiefen Ton eines Cellos heran. Siebeneisen beschlich wieder dieses Gefühl einer längst vergangenen Ära, die immer noch spürbar war, als schere sich die Zeit einen Teufel um lineare Vorschriften, als habe sie kleine Paralleluniversen eröffnet, aus denen die Epochen hinaus- und ineinandersickerten. Sie kamen an einer Kirche vorbei, ein dunkler Rasen vor dem Portal, eine Christusstatue mit weit ausgebreiteten Armen, deren Silhouette ein Scheinwerfer riesengroß auf die Fassade des Gotteshauses warf. Trotz der Hitze fröstelte es Siebeneisen.
    »Warte mal kurz …«
    Lawn war abrupt stehen geblieben. Sie sah angestrengt in einen kleinen Hof gegenüber der Kirche, der sich hinter einem Eisenzaun im Dunkeln verlor. Das Tor war geschlossen. Lawn ging ein paar Schritte darauf zu, zögerte, stoppte, drückte die Klinke nach unten. Das Tor schwang auf. Es gab dabei ein ziemlich lautes Quietschen von sich. Lawn betrat den Hof und verschwand in der Dunkelheit.
    »Was machst du da? Das ist bestimmt Privatgelände!«
    Siebeneisen hatte genügend Zeitungsberichte gelesen, in denen arme Touristen von amerikanischen Hausbesitzern über den Haufen geschossen worden waren, bloß weil sie deren Vorgarten betreten hatten, und das hier war ein Hof mit einem Eisenzaun davor und einem Tor, und es war zwei Uhr nachts, das würde einem schießwütigen Besitzer bestimmt genügen und einer erzkonservativen Jury später dann auch.
    »Lawn! Komm da raus!«, zischte Siebeneisen. Er

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