Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Fingerbreit hohe Linie Kokain geraten. Siebeneisen ahnte, dass das Zeugs ihm später zusammen mit Suppe, Bohnen und Zwiebeln sowie den Mint Juleps wie ein Klops im Magen liegen würde. Er würde schlecht träumen. Wahrscheinlich von Hui Buh, dem Schlossgespenst.
»Sie suchen wirklich Geister?« Siebeneisen war noch immer nicht überzeugt von dem, was ihm erzählt worden war. »So wie die in dem Film mit Dan Akroyd, wo am Ende das Michelin-Männchen durch Manhattan stapft?«
» Ghostbusters . In der Originalfassung war das der Marshmellow-Mann.«
»Und als was würden Sie sich bezeichnen? Als … Geisterjägerin?«
»Das Wort hören wir nicht gern. Wir jagen ja nicht, wie spüren auf. Wir bezeichnen uns als ›Personen mit gewissen Wahrnehmungsfähigkeiten‹. Wir sprechen auch nicht von Geistern, das klingt zu sehr nach Hokuspokus. Entitäten ist das passendere Wort. Ist auch respektvoller.«
Siebeneisen bezweifelte, dass ein Geist es gerne hörte, wenn man ihn Entität nannte, aber das behielt er für sich. Er wollte das alles sowieso immer noch nicht glauben. Geister! Aber dann wiederum war das hier New Orleans, dachte er und blickte an die Decke, von wo schon wieder diese merkwürdigen Geräusche zu hören waren. In dieser Stadt glaubten die Leute an so was. In dieser Stadt lagen ja auch jeden Morgen frische Blumen auf den Gräbern von Voodoo-Priesterinnen aus dem 19. Jahrhundert.
»Und wo genau werden Sie fündig? Wo ›leben‹ diese … Entitäten?«
»In der Regel arbeite ich im French Quarter. Manchmal auch außerhalb. Letzte Woche zum Beispiel war ich in Kalifornien.«
»Kalifornien? Es gibt Geis- … sorry, Entitäten in Kalifornien?«
»In Kalifornien und in New Orleans – es gibt sie überall. Bloß sind die Menschen nicht überall sensibel genug, um sie wahrzunehmen. Haben Sie schon einmal vom Winchester House gehört?«
Siebeneisen hatte nicht. Den Familiennamen kannte er aber natürlich. Eine Winchester war auch unter der Bezeichnung Henrystutzen bekannt, Old Shatterhand schoss mit so einem, wenn er sein anderes Gewehr nicht zur Hand hatte, den Bärentöter.
»Ist das nach dem Erfinder der gleichnamigen Waffe benannt?«
Lawn nickte. »Genau. William Winchester hat dieses Gewehr entwickelt, mit dem der Westen gewonnen wurde, wie man bei uns sagt. Und weil seine Frau eine schreckliche Angst vor den Seelen all jener Menschen hatte, die durch die Gewehre ihres Mannes ums Leben gekommen waren, hat sie sich nach seinem Tod ein Haus mit 160 Zimmern bauen lassen. Die Arbeiten haben 38 Jahre gedauert, rund um die Uhr, ohne jeden Bauplan. Sie hoffte, sich im Labyrinth ihrer Räume und Flure vor der Rache der Toten verbergen zu können.«
»Und? Hat das funktioniert?«
»Offensichtlich. Sie ist mit 83 im Schlaf gestorben. Das Haus ist jetzt eine Publikumsattraktion. Ich war aus reiner Neugier dort. Entitäten habe ich keine getroffen.«
Logisch, dachte Siebeneisen, und nicht bloß dort nicht. Er war beruhigt. Diese Frau war offensichtlich doch nicht so merkwürdig, wie er noch vor ein paar Minuten gedacht hatte. Sie war nur geschäftstüchtig. Die Geistersucherei schien eine Marktlücke zu sein. Möglicherweise war das ja auch eine Geschäftsidee für Oer-Erkenschwick. Alte Häuser gab es auch dort genug, und Menschen mit Schlafproblemen kannte er einige, oder besser: Er kannte kaum jemanden, der keine hatte. Schatten zum Beispiel, der schlief immer sehr schlecht. Für einen kurzen Moment stellte sich Siebeneisen ein Büro vor, in dem er an einem großen Schreibtisch saß, und gerade ging Lawn an ihm vorbei, mit einer Art Geistergeigerzähler in der Hand, oder was auch immer man für die Fahndung verwendete.
»Hallo? Noch da?«
Siebeneisen kam aus seinem Gedankengebäude, bevor er sich in seinem ganz privaten Labyrinth aus Überlegungen, Plänen und »Was wäre, wenn«-Konstruktionen verirren konnte.
»Natürlich gibt es dort keine«, sagte er. »Entitäten. Bei Winchesters.«
»Weil Entitäten nie in fremde Häuser eindringen. Sie sind immer nur dort, wo ihnen ihr Schicksal widerfahren ist. Im Winchester House ist niemand gewaltsam ums Leben gekommen, also existieren dort auch keine Entitäten. Auch noch einen Julep?«
Siebeneisen schaute zu den anderen Tischen. Zu Beginn des Abends hatten da ganz normale Leute gesessen. Jetzt sahen die Gäste aus wie Statisten aus einem David-Lynch-Film, die unter den träge kreisenden Ventilatoren zusahen, wie die Zeit vorbeiging.
»Lieber nicht. Ich bin
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