Donnerstags im Park - Roman
treffen; meine Familie hält dich für pädophil.« Nicht gerade eine spritzige Gesprächseröffnung. Außerdem war ihr klar, dass sie das Intermezzo mit ihm beenden musste. Dass ihr Verhältnis zu ihrer Tochter gestört wurde, sie ihre geliebte Enkelin nicht mehr sehen durfte und Rays Leben und berufliche Karriere in Gefahr gerieten – das war die Sache nicht wert. Jeanie erbebte immer noch vor Zorn, wenn sie an Alex’ schuldbewusste Miene dachte, und fürchtete, nicht heftig genug widersprochen zu haben. Gern hätte sie mit Ray über alles geredet, aber das Verhalten ihrer Familie war ihr schrecklich peinlich, und außerdem wusste sie, dass sie, wenn sie seine Stimme hörte, schwach werden würde. Die Familie musste ihre oberste Priorität bleiben.
Jeanie begann ein Kinderlied zu singen, während sie in der warmen Maisonne die Hornsey Lane entlangmarschierten. Ellie, auf deren Kopf der Sonnenhut hin und her rutschte, stimmte fröhlich ein.
Als sie die Tore von Priory Park erreichten, piepste ihr Handy. Ray. Kommst du? Habe Erdbeeren.
Geburtstagserdbeeren. Sie schob den Apparat in die Tasche ihrer Baumwollhose.
»Gin, schau …« Jeanie blickte in die Richtung, in die ihre Enkelin deutete.
»Der Sandkasten … Willst du in den Sandkasten?«
Ellie nickte. »Eimer …« Sie deutete auf ein herrenloses Eimerchen. »Sand rein …« Ellie gab mit den Händen Sand hinein und kippte ihn wieder aus. Wenig später lief ein kleiner Junge herbei und entriss es ihr. »Meins«, erklärte er, doch Ellie ließ den blauen Griff nicht los. »Gin … nein … meins, meins.« Ihre Schreie wurden lauter, als der Junge ihr das orangefarbene Eimerchen schließlich entwand. Es dauerte Ewigkeiten, bis Ellie sich beruhigte. Ihr Gesicht war puterrot und verschwitzt, die hellen Locken klebten an ihrem Kopf, Sand knirschte zwischen ihren Fingern und Zehen und verkrustete ihre nackten Beine.
»Eis«, verkündete Jeanie mit fröhlicher Stimme, obwohl ihr nicht danach zumute war. Wieder und wieder blickte sie sich vergebens nach Ray um.
Ellie beklagte sich immer noch wütend über den Jungen. »Eimer weg.«
»Es war sein Eimerchen«, erinnerte Jeanie sie. »Deines nehmen wir nächstes Mal mit«, versprach sie, obwohl sie wusste, dass das für eine Zweijährige nicht viel Sinn ergab.
Sie setzten sich auf eine Bank, wo Ellie mit einem Plastiklöffelchen in der einen Kugel Schokoladeneis im Becher herumstocherte, um den Genuss möglichst lange auszudehnen. Am Ende war ihr Gesicht über und über mit Schokolade verschmiert.
»Noch eins?«, fragte sie und streckte Jeanie den leeren Becher hin.
Jeanie lachte. »Nein, Liebes, eine Kugel reicht.«
»Wo ist Din?«, erkundigte sich Ellie und bekam prompt einen Schluckauf. »Huckauf«, erklärte sie glucksend.
»Der kann heute nicht kommen.«
»Okay … Din mit mir spielen«, sagte sie. Als Jeanie nicht reagierte, wiederholte sie: »Gin, Gin … Din mit mir spielen. Mein Bein aua, Ball drauf.«
»Ja, Liebes, aber jetzt tut’s nicht mehr weh, oder?«
Ellie schob skeptisch den Saum ihres Rocks hoch, um auf die unsichtbare Wunde zu deuten.
»Bein aua wie bei Daddy als kleines Mädchen.«
»Kleiner Junge«, korrigierte Jeanie sie schmunzelnd, nahm ihre Enkelin auf den Schoß und wischte ihr, obwohl sie sich mit Händen und Füßen wehrte, mit einem feuchten Tuch das Gesicht sauber. Dann hielt sie sie eine Weile im Arm und strich ihr die verschwitzten Haare aus der Stirn. Der Gedanke, dass jemand ihr etwas antun könnte, bereitete Jeanie Übelkeit. Alex’ Anschuldigungen waren gemein. Oder glaubte er tatsächlich, dass Ray sich seiner Tochter unsittlich genähert hatte?
»Ich liebe dich«, flüsterte Jeanie Ellie zu.
»Ich habe ein Haus gefunden«, verkündete George überglücklich, als er Jeanie kommen hörte, sprang von seinem Platz auf der Terrasse auf und fuchtelte mit einem Blatt Papier, auf dem alle Einzelheiten standen, vor ihr herum.
Jeanie nahm ihre Lesebrille heraus. Das Gebäude war wunderschön, ein altes Pfarrhaus am Rand der Blackdown Hills, hieß es auf dem Zettel: sechs Zimmer, darunter ein Frühstücksraum und so weiter und so weiter.
»Es ist perfekt, steht für eineinhalb Millionen zum Verkauf.«
»Prima.« In diesem Moment hätte es Jeanie nichts ausgemacht, auf den Äußeren Hebriden zu leben, denn das bedeutete größtmögliche Distanz zu Ray. Er hatte ihr zwei weitere SMS geschickt, beide waren unbeantwortet geblieben: Was ist los? Xxx und Melde Dich!
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