Donnerstags im Park - Roman
glaubst oder nicht: Im Augenblick ist mir deine Arbeit scheißegal. Du hast deine Tochter im Stich gelassen, obwohl klar war, dass sie möglicherweise medizinische Hilfe braucht.«
»So klar war das nicht. Wirklich.« Alex warf Jeanie einen flehenden Blick zu. »Du hast gesagt, es ist in Ordnung, wenn ich gehe.«
»Es ist nicht Aufgabe meiner Mutter, dir Anweisungen zu geben. In der Vergangenheit hast du ja auch nie auf sie gehört. Mum, bitte erzähl mir genau, was passiert ist.«
»Ray hat den Sturz beobachtet; als Kampfsportexperte kennt er sich mit Stürzen aus«, begann Jeanie zögernd. »Er war besorgt und hat Alex das gesagt. Der Gerechtigkeit halber sollte ich erwähnen, dass keiner von uns wusste, ob es Probleme geben würde oder nicht. In solchen Situationen kommt es oft zu Fehlentscheidungen.«
»Und die Betroffenen sterben?«, kreischte Chanty.
»Ja, das kann passieren.«
Alex machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Ich weiß, es war meine Schuld.« Er strich Ellie mit dem Daumen über die Wange. »Ist sie nicht das hübscheste Mädchen der Welt? Ich hab sie im Stich gelassen. Sie hätte sterben können … Und es wäre meine Schuld gewesen.«
Jeanie erschien seine melodramatische Zerknirschung wenig überzeugend, aber sie merkte, wie ihre Tochter sich wieder von ihm einwickeln ließ. Vielleicht – das musste Jeanie ihm immerhin zugestehen – hatte ihn der Vorfall tatsächlich schockiert.
»Sie ist nicht gestorben, Alex, sie erholt sich wieder.« Jeanie konterte seine Theatralik mit Sachlichkeit. »Bestimmt hättest du die richtige Entscheidung getroffen, wenn dir klar gewesen wäre, dass es ihr nicht gut ging.«
»Das ist nicht der Punkt«, widersprach Chanty, die ihrem Mann doch noch nicht verziehen hatte. »Du hast sie im Stich gelassen.«
»In der Situation hätten die meisten Leute ähnlich gehandelt wie Alex«, stellte Jeanie fest. »Niemand macht gern Trara, wenn keine eindeutigen Hinweise auf etwas Schlimmes existieren.«
»Das heißt also, wir müssen uns bei Ray bedanken …« Es war Chanty anzusehen, dass dieser Gedanke ihr nicht gefiel.
Alex rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und stand auf. Er machte Anstalten, etwas zu sagen, sah nervös zuerst Jeanie, dann Chanty an.
»Die Sache mit Ray …«
Chantys Augen verengten sich. »Was ist mit Ray?«
Alex holte tief Luft und straffte die Schultern, als müsste er einem Exekutionskommando entgegentreten.
»Alex?«
Er zögerte. »Ihr erinnert euch an das, was Ellie von Ray behauptet hat? Das hat sie nie gesagt.«
Er ließ den Kopf hängen wie ein geprügelter Hund. Einen Moment lang glaubte Jeanie, dass Chanty ihm eine Ohrfeige geben würde. Sie saß kerzengerade auf dem Krankenhausstuhl, den Kopf ebenfalls gesenkt, die Hände auf die Oberschenkel gepresst, als wollte sie gleich auf ihn losgehen.
»Ellie hat von ihm geschwärmt, wie er auf dem Wackelbalken balanciert, ohne sich festzuhalten, wie alle ihm applaudieren, wie gut er Ball spielen und singen kann und ihr Apfelsaft kauft. Das hat mich geärgert. Ich wollte nicht, dass ein anderer Mann Dinge mit meiner Tochter macht, die ich nicht kann.«
Jeanie war entsetzt. Ob seines jämmerlichen Geständnisses bekam sie fast Mitleid mit ihm. Was für ein Ego, dachte sie.
Chanty blickte ihn ungläubig an.
»Chanty, es tut mir leid. Ich weiß, das war dumm von mir.«
»Dumm?«, herrschte Chanty ihn an. »Du nennst es ›dumm‹, einen Mann zu beschuldigen, er hätte Ellie belästigt, weil du eifersüchtig bist?« Sie hatte Mühe, an sich zu halten; ihr Gesicht lief tiefrot an.
»Ich habe nichts von Belästigung gesagt«, wehrte Alex sich. »Bloß …«
Wieder fiel Chanty ihm ins Wort. »Wir wissen, was du gesagt hast, Alex. Und wir wissen auch, was du damit andeuten wolltest.«
»Ich hatte das nicht vor. Du solltest nur erfahren, dass er mit Ellie spielt. Du hast überreagiert. Dann hat die Angelegenheit eine Eigendynamik entwickelt, und ich habe sie weiter aufgebauscht. Die Geschichte ist aus dem Ruder gelaufen, bevor ich die Chance hatte, alles zu erklären.«
»Das Ganze ist also meine Schuld?«, zischte Chanty. Sie sank in sich zusammen. »Verschwinde.« Sie machte eine matte Handbewegung. »Geh. Ich ertrage deinen Anblick nicht mehr.«
Alex zögerte, bevor er beschämt aus der Station schlich.
»Ich will jetzt nicht darüber reden, Mum«, murmelte Chanty.
Eine Weile schwiegen beide Frauen und beobachteten nur die schlafende Ellie, die zum Glück nichts von der
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