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Doppelspiel

Doppelspiel

Titel: Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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im Juni teilweise über dreißig Grad Celsius heiß wurde. Im Winter wiederum war das Meer über Monate hinweg zugefroren, und die Kinder bastelten sich Schlittschuhe und fuhren Rennen, bis ihre Mütter sie zum Essen nach Hause riefen. Kuchin konnte sich sogar daran erinnern, wie er flach auf dem Eis gelegen und es mit seiner sieben Jahre alten Zunge abgeleckt hatte.
    Jetzt hatte Kuchin gehört, dass das Asowsche Meer in der Gefahr schwebte, zu einem toten Gewässer erklärt zu werden. Fischerei war für die nächsten zwanzig Jahre verboten. Das war jedoch nicht so drakonisch, wie es klang. Seit vierzig Jahren hatte ohnehin kaum noch jemand etwas dort gefangen. Und doch konnte Kuchin sich noch lebhaft daran erinnern, wie sein Vater die Fische, die er gefangen hatte, für die Familie mit einem großen Messer ausgenommen, gesäubert und mit der Präzision eines Chirurgen filetiert hatte. Anschließend hatte seine Mutter sie dann oft mit einer geheimen Gewürzmischung geräuchert, ganz so wie es nur eine Französin konnte.
    Südlich von hier lag die Straße von Belle Isle und dahinter Neufundland. Kuchin war schon oft dorthin gewandert und hatte sich die Frachtschiffe in der Meerenge angeschaut. Tatsächlich kam sogar ein Teil seiner menschlichen Fracht durch diese Gewässer. In seiner Kindheit und Jugend war Kuchins Leben eng mit dem Wasser verbunden gewesen – mit verschmutztem Wasser, wie sich herausgestellt hatte. Vermutlich konnte man es schon als Wunder bezeichnen, dass er nicht schon längst an Krebs gestorben war. Aber vielleicht wuchsen ja just in diesem Augenblick Tumore in ihm heran, drangen still und heimlich, aber tödlich in lebenswichtige Organe ein, zerstörten Blutgefäße oder wucherten in Richtung Hirn.
    Doch die ökologischen Gefahren seiner Kindheit hatten auch den Ehrgeiz in Kuchin geweckt. Er wollte Erfolg haben, und das um jeden Preis. Und so hatte er stets alles erreicht, was er sich vorgenommen hatte, und das machte die gegenwärtige Situation umso unerträglicher.
    Kuchin wanderte zur Meerenge und starrte auf das Wasser hinaus, das den direktesten Weg nach Europa für die Schiffe repräsentierte, die vom St. Lawrence oder den Häfen an den großen Seen kamen. Doch Nebel, Sturmböen und Eis machten diese Gewässer zehn Monate im Jahre zu einem der gefährlichsten der Welt. Allerdings konnte man hier auch wundersame Dinge sehen. Dazu gehörten springende Buckelwale ebenso wie wanderende Eisberge, die von den Gletschern Grönlands stammten und immer weiter gen Süden trieben, bis sie in wärmeren Gewässern unter lautem Krachen auseinanderbrachen. Und da war Belle Isle , die ›Schöne Insel‹, der die Meerenge ihren Namen zu verdanken hatte. Sie lag am Ostende der Wasserstraße, ungefähr auf halbem Weg zwischen Labrador und Neufundland, die zusammen die kanadische Provinz gleichen Namens bildeten.
    Schönheit inmitten des Nichts, sinnierte Kuchin. Doch Schönheit hatte er auch geglaubt in der Provence gefunden zu haben, wenn auch nur kurz: eine Frau, die ihn fasziniert, ja sogar verzaubert hatte; eine Frau, von der er gedacht hatte, dass sie ihn für mehr als eine Nacht unterhalten könnte, und das ohne anschließende Sauerei. Und doch hatte diese Schönheit ihn fast getötet. Es war dieses Gefühl des Verrats – obwohl die Frau ihm eigentlich nichts schuldig gewesen war –, was Kuchins Zorn noch weiter anfachte.
    Kuchin stieg auf einen kleinen Hügel, hinter sich die Meerenge und vor sich flaches Land, so weit das Auge reichte. Neufundland nannte man auch den ›Fels‹. Der östliche Teil der Region war einst Teil von Nordafrika gewesen. In der letzten Eiszeit war fast die gesamte fruchtbare Erde von der Südküste abgeschliffen worden, sodass es dort tatsächlich fast nur noch Felsen gab; daher der Name. Labrador, der östlichste Teil des kanadischen Festlandes wiederum, war fast dreimal so groß wie Neufundland, hatte aber nur schätzungsweise fünf Prozent von dessen Bevölkerung. Das Klima dort galt als Tundra; Eisbären zogen an der Küste entlang, und es gab zwanzigmal mehr Karibus als Menschen. Hier hatte Kuchin genug Berge, auf die er klettern konnte, abgeschiedene Buchten zum Fischen und Tundra zum Skifahren. Die Abhänge dort waren schier unglaublich steil und die Strömung im Wasser tückisch und schnell.
    Kuchin legte das Gewehr an und blickte durch das Zielfernrohr von Zeiss, derselben Firma, die auch schon die Nazis ausgerüstet hatte. Es hatte alles, was ein erfahrener

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