Doppelspiel
geworden.
Katie war immer nur mit ihrer Karriere verheiratet gewesen, und auch Kinder hatte sie keine. Aber sie hatte zwei Pulitzerpreise und eine hässliche Schusswunde an ihrem Oberarm. Sie hatte die ganze Welt gesehen, und vermutlich würde man sich dank ihrer Reportagen noch lange an sie erinnern. In ihrem Beruf gehörte sie zur absoluten Spitze, doch privat hatte sie versagt. Natürlich war das eine alte Geschichte und sie nicht die Einzige, der es so ergangen war, doch im Alter von dreizehn Jahren hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als Mutter zu sein und in einem kleinen Häuschen mit einem schönen grünen Rasen und einem Apfelbaum zu leben.
Stattdessen hatte sie sich jedoch irgendwann entschlossen, eine globale Krise nach der anderen zu dokumentieren und zu diesem Zweck Millionen von Flugmeilen anzusammeln. Plötzlich lief ihr ein Schauder über den Rücken, obwohl es draußen eigentlich warm und feucht war wie so häufig an einem Sommerabend in Washington. Katie zog sich ein Sweatshirt über und stand einfach nur in der Dunkelheit.
Wenigstens hatte sie inzwischen mit dem Trinken aufgehört. Seit Monaten hatte sie schon keinen Tropfen mehr angefasst, noch nicht einmal an dem Morgen, als Shaw sie in Zürich wortlos hatte sitzen lassen. Sie hatte sich selbst überrascht. Wenn sie irgendwann vom sprichwörtlichen Wagen gefallen wäre, dann dort. Sie war zwar noch zwei weitere Tage in Zürich geblieben, hatte Shaw wiederholt angerufen und dann Frank ein Dutzend Mal, bis der Mann endlich abgehoben hatte.
»Er leidet«, hatte Frank zu ihr gesagt. »Gib ihm Zeit.«
Und so hatte Katie ihm Zeit gegeben. Wochen. Und dann zwei Monate. Und sie hatte wieder versucht, ihn anzurufen, doch mittlerweile hatte er seine Nummer geändert.
Dann hatte sie sich wieder an Frank gewandt, und der hatte sich bereit erklärt, ihr zu helfen. Und er hatte ihr Informationen zu Shaw gegeben und ihr auch verraten, dass er wieder arbeitete, was hieß, dass er überall auf der Welt sein Leben riskierte. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, ging Katie davon aus, Frank am anderen Ende der Leitung zu hören, der ihr von Shaws Tod berichtete. Sie ging davon aus, weil sie schon längst nicht mehr geglaubt hatte, dass Shaw sie irgendwann zurückrufen würde.
Und dann hatte Frank ihr erneut geholfen. Er hatte Shaw die Nummer eines speziellen Handys gegeben, das er vorher Katie zugesteckt hatte. Und Shaw hatte angerufen, aber sofort wieder aufgelegt, als er ihre Stimme gehört hatte. Das hatte Katie zwar nicht wirklich überrascht; trotzdem war sie enttäuscht gewesen. Doch er hatte wieder zurückgerufen. Das Gespräch war kurz gewesen, aber wenigstens hatten sie miteinander gesprochen.
Und dann war sie nach Paris gereist. Den Tipp hatte ihr Frank gegeben. Als sie Shaw allein an dem Tisch gesehen hatte, da war sie einfach stehen geblieben. Er hatte sie noch nicht bemerkt, und so hatte sie ihn erst einmal beobachtet. Die Art, wie er den Raum im Geiste in Planquadrate einteilte, wie er nach potenziellen Gefahren Ausschau hielt … Das war schlicht seine Art zu leben. Sie hatten nie Sex gehabt, obwohl sie einmal ein Hotelzimmer geteilt hatten. Tatsächlich hatten sie sich noch nicht einmal geküsst. Sie waren sich nie wirklich nahegekommen, auch wenn das eher an ihm gelegen hatte. Was sie selbst betraf, war Katie sich nicht sicher … oder vielleicht doch … Das war alles so verwirrend.
In jedem Fall wusste Katie nicht, wann genau sie sich in Shaw verliebt hatte; es musste aber vor Zürich gewesen sein. Vielleicht war es ja in jener letzten Nacht in Wisbach gewesen, vor dem Friedhof, auf dem Anna beerdigt war. Damals war er jedoch nicht in der Lage gewesen, ihre Liebe zu erwidern … Und vielleicht würde er das nie.
Katie starrte wieder auf die Fotos an der Wand. Was, wenn sie das Restaurant nicht so abrupt verlassen hätte? Aber Shaw hatte auch nicht versucht, sie aufzuhalten. Wäre er ihr hinausgefolgt, sie wäre sofort wieder zurückgekommen. Sie hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit ihm zu reden. Aber sie war die Straße hinuntergegangen, und er war ihr nicht gefolgt.
Katie schlenderte zum Fenster und schaute hinaus. Da waren ein paar Passanten, größtenteils Paare, Hand in Hand. Lachen drang von draußen zu ihr hinein. Ein Auto raste vorbei. Es war viel zu schnell für die schmalen Straßen in diesem Viertel. Katie hatte keine Ahnung, wie lange sie hierbleiben würde, oder wo es dann hinging.
Sie holte ihr Handy
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