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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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geduldigen Blicke zu ergründen, und schreckte hoch, als eine menschliche Stimme mein Ohr streifte. Ein kurzes Lachen, dann ein Murmeln, das mir vertraut vorkam, doch als ich aufsah, blickte ich nur auf die Hinterköpfe einiger ältlicher, forsch marschierender Touristen, die Damen mit lila schimmernder Dauerwelle, die Herren kahl. Die Hunde aber hatten sich erhoben, um sich gähnend und japsend zu strecken. Auffordernd blickte der Leitrüde mich an.
    »Okay, ich soll also mitkommen, was?«, fragte ich dröge. Er drehte sich um und begann mit leicht schief gestelltem Hinterteil vorwärtszutraben, die anderen im Schlepptau. Mit einem ergebenen Achselzucken übernahm ich das Schlusslicht. Ich hielt Abstand, wenige Meter, es waren wilde Hunde, man musste vorsichtig bleiben. Einem einzelnen Hund konnte ich entfliehen; bei fünf Hunden würde es schwierig werden. Sie konnten mich totbeißen, wenn sie es darauf anlegten. Doch wann immer der Abstand zwischen ihnen und mir zu groß wurde, hielt der Schäferhund an, sah sich zu mir um und wartete hechelnd, bis ich zu ihnen aufgeschlossen hatte.
    Fühlende Wesen … Ich sollte mich unter fühlende Wesen mischen, hatte Morpheus gesagt. Er hatte gar nicht die Menschen gemeint. Er hatte die Hunde gemeint, die mich nun so treu und still durch die Nacht führten und am Ende des Ortes wie auf ein Kommando hin geschlossen nach links in einen kleinen Hotelhof abbogen. Wieder sah der Leitrüde mich an. Ein Hotel … Ich konnte doch nicht in ein fremdes Hotel eindringen!
    Vor dem offenen Törchen blieb ich unsicher stehen und äugte zu den Hunden hinüber. Sie hatten sich dicht nebeneinander zwischen zwei Liegestühle gelegt, die Köpfe wieder auf ihre Vorderpfoten gebettet, als wäre dies der richtige Platz, um ein Nickerchen zu halten. Unrecht hatten sie damit nicht. Es war kein Luxushotel mit bombastischem Pool und prachtvollen Außenanlagen, sondern überschaubar und ohne jeglichen Protz, das Schwimmbecken war klein und nicht allzu tief, die Liegestühle hatten keinen Designpreis verdient, die Zimmer waren vermutlich schlicht. Aber wer sich hier einquartierte, würde niemals das Bedürfnis verspüren, an einen anderen Ort der Insel zu reisen. Man konnte den ganzen Tag auf einem der weiß gekalkten Mäuerchen am Pool sitzen und aufs Meer blicken, ohne Langeweile zu verspüren oder das Gefühl zu bekommen, etwas tun und leisten zu müssen. Trotzdem blieb der Geist klar.
    Ich überwand meine höfliche Zurückhaltung, schritt durch das Tor in den Hotelgarten und setzte mich zu den Hunden. Der Leitrüde knurrte mich leise an.
    »Passt dir was nicht?«, flüsterte ich.
    Wieder knurrte er. Er hatte mich hierhin geführt und es war richtig, dass ich ihm gefolgt war, aber meine Aufgabe war es offensichtlich nicht, bei ihm zu sitzen. Worin bestand sie dann?
    Wir reckten gleichzeitig unsere Köpfe und spitzten die Ohren, die Hunde und ich, als erneut ein fernes Murmeln durch die Luft drang. Dieses Mal hatte ich keinen Zweifel mehr, dass ich es kannte, dass ich es wenigstens schon einmal gehört hatte, wenn auch nur von fern. Es kam aus einem der Appartements, dem hinteren, das man erreichte, wenn man den Pool umrundete und einen dicht bewachsenen, schmalen Torbogen durchschritt. Ich blickte den Schäferhund fragend an. Die anderen Hunde ließen ihre Köpfe wieder sinken und schlossen die Augen, nur er erwiderte meinen Blick und knurrte ein drittes Mal, fordernd, nicht drohend.
    Ich musste zu dem Appartement gehen. Als ich aufstand und mich auf den Weg machte, hatte ich das Gefühl, unsichtbar zu sein. Meine Schritte verursachten keine Geräusche, ich spürte weder den Wind noch die Wärme auf meiner Haut, nichts konnte mir Widerstand leisten. Ich war sogar in der Lage, die Schwerkraft zu überwinden, wenn ich wollte.
    Ich war eine Kreatur der Nacht geworden.
    Die Balkontür des Appartements öffnete sich lautlos, sobald ich meine Hand auf den Griff legte. Ich musste nicht einmal schieben oder dagegendrücken. Sofort ließ ich ihn wieder los und machte einen Schritt zur Seite ins Zimmer hinein, wo ich neben dem langen dunkelblauen Vorhang an der Wand stehen blieb und auf die Schlafenden im Bett blickte, deren Träume sich gerade erst zu bilden begannen, konturenlos und ohne jegliche Farben.
    Sie träumten schwarz-weiß. Sie hatten kein großes Talent darin. Diese Träume konnten nicht lange satt halten, sie taugten für die Not, aber nicht für den großen Hunger. Der Mann hatte mir den

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