Dornteufel: Thriller (German Edition)
der Magen, und ihr war immer noch kalt. Während sie zurückging, wurde sie sich des Risikos bewusst, auf offener Straße umherzuspazieren, denn es waren noch keine Touristen unterwegs, in deren Mitte sie untertauchen könnte. Dafür sah sie immer mehr Inder, vor allem Handwerker und Angestellte, die sich auf dem Weg zur Arbeit befanden …
Julia kaufte sich in dem Laden einen Chai-Tee mit Milch sowie Bananen-Porridge und ließ sich auf einer der Bänke im hinteren Bereich nieder. Erst beim Essen merkte sie richtig, wie hungrig sie war. Mit leerem Magen konnte sie nicht richtig denken – und das musste sie, wenn sie heil nach Kolkata kommen wollte. Wenn Flugzeug und Bahn wegfielen, blieben nur noch Autos oder Busse als Fortbewegungsmittel. Auf den ersten Blick schien sie sich in einem der überfüllten Busse am besten verstecken zu können. Bei einer Kontrolle – hin und wieder gab es auch regelrechte Straßensperren der Polizei – gab es allerdings kein Entkommen. Und zumindest in Bihar bestand die Gefahr, dass auf den Hauptverkehrswegen nach ihr gesucht würde. Ein Auto mit einem Fahrer, der sich auf den Straßen gut auskannte, war sicherer und schneller. Dies war wohl die beste Option, um ihre Flucht erfolgreich fortzusetzen. Sie ließ sich noch einmal schäumenden Milchtee nachschenken und kaufte sich zudem ein paar Reiskuchen als Proviant, obwohl ihre Rupien langsam zur Neige gingen. Wenn es hart auf hart kam, war es am wichtigsten, immer etwas zu essen zu haben, dachte sie. Wie schnell man das zu Hause in Deutschland vergaß, wo es für die allermeisten völlig normal war, regelmäßig Mahlzeiten zu sich nehmen zu können.
Kurz bevor die Bankfiliale öffnen sollte, machte sie sich auf den Weg dorthin. Die Straßen waren jetzt wieder von hektischer Betriebsamkeit erfüllt, und das gab ihr einen gewissen Schutz. Sie bog um die Ecke … und blieb abrupt stehen: Ein Polizeifahrzeug, ein weißer Tata, parkte ein paar Häuser von der Bankfiliale entfernt. Und direkt neben dem Eingang zur Bank stand ein Uniformierter und starrte stoisch auf die an ihm vorbeieilenden Menschen. Eine Routinemaßnahme? Oder rechnete man damit, dass sie eine Bank in der Stadt aufsuchen würde? Julia wich zurück und prallte gegen ein paar Schulkinder, die kicherten, als sie sich umdrehte. Verdammt, sie brauchte Bargeld! Sollte sie abwarten, bis der Polizist wieder fortging? Sie konnte schlecht hier herumstehen. Das würde Aufmerksamkeit erregen. Nun näherte sich auch noch ein Polizeijeep und verlangsamte vor der Bank sein Tempo. Er hielt neben dem Polizisten an, sodass der Fahrer und der uniformierte Beamte miteinander sprechen konnten. War das ein Zufall?
Ihre Frage beantwortete sich, kaum dass Julia sie gedacht hatte. Im Inneren des Jeeps presste sich ein Gesicht gegen die hintere Scheibe. Ein Gesicht, das sie kannte.
Marvin.
P ARIS , F RANKREICH
In Gedanken versunken machte sich Rebecca auf den Weg zur Beerdigung ihrer Schwester.
Auf dem Friedhof Père Lachaise war kein Grab zu bekommen gewesen, jedenfalls nicht für jemanden, der nicht dauerhaft in Paris gewohnt hatte. Nicht mal im Tod wurden die Menschen gleich behandelt, dachte Rebecca Stern. Dabei hätte es Moira gefallen, auf demselben Friedhof beerdigt zu werden wie Jim Morrison. Na ja, vielleicht wäre es ihrer Schwester auch vollkommen egal gewesen … Aber ihr selbst war es nicht egal.
In Rebeccas erstem Jahr in Paris waren Moira und sie irgendwann einmal zusammen an Morrisons Grab gewesen. Kichernd waren sie den aufgemalten Pfeilen und Hinweisen gefolgt, wie bei einer Schnitzeljagd, und hatten sich x-mal verlaufen, bevor sie das Grab gefunden hatten. Es war ein Treffpunkt für Fans und Touristen, sodass die Grabstelle zeitweilig von Ordnungskräften bewacht wurde. Sie beide hatten auf der warmen Steinplatte gesessen, ihren mitgebrachten Rotwein getrunken und mit den Flics dort geplaudert. Dann hatte Moira ein winziges, wohl verwaistes Katzenbaby auflesen wollen …
Das war typisch für ihre Schwester gewesen! Letzten Endes hätte sie, Rebecca, sich mit der Katze rumschlagen müssen, während Moira, gänzlich unbelastet, doch in dem Wissen, ein gutes Werk getan zu haben, zurück in die USA geflogen wäre. Nie hatte ihre Schwester für irgendwas Verantwortung übernommen! Als dieser Gedanke in Rebecca hochkam, stutzte sie: Die alten Konflikte schwelten immer noch, selbst nach Moiras Tod.
Rebecca hatte auch jetzt ihr Möglichstes gegeben. Allein von Europa aus die
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