Dr. med. Erika Werner
… nur die Bekanntschaft mit Helga Herwarth nicht. Aber das war Vergangenheit, und immer hatte Petra Rahtenau gesagt: Was hinter dir liegt, geht mich nichts an. Nur was heute ist und morgen sein wird … das ist unser Leben, und da gehöre ich hinein …
Mit kühnem Schwung riß er das Telefon zu sich heran und wählte die Privatnummer Professor Rahtenaus. Die Hausdame meldete sich und schaltete um zum Zimmer Petras.
»Alf?« Petras Stimme klang klein und verweint. »Vater hat mir vor einer Stunde alles erzählt. Es stimmt doch nicht, was er sagt … ich kann es nicht glauben. Sag doch, daß alles ein Irrtum ist …«
»Es ist ein Irrtum, Liebes. Noch sieht es so aus, als sei ich der große Übeltäter. Es sieht am Anfang, wenn man jemanden verdächtigt, immer so aus. Mach dir keine Sorgen. Das wollte ich dir nur sagen. Du mußt mich nur weiterhin lieben, das gibt mir Kraft, die Wahrheit durchzukämpfen …«
»Du weißt, wie ich dich liebe«, sagte Petra Rahtenau mit kläglicher Stimme. Dann hörte Bornholm sie weinen. Bevor er etwas Tröstendes sagen konnte, hatte sie aufgelegt.
Bornholm schob das Telefon von sich. Eine große Sorge war von ihm genommen. Petra glaubte an ihn, wie auch Erika Werner an ihn glaubte. Das machte ihn unangreifbar. Die Liebe der Frauen war sein einziges Kapital in den kommenden Wochen. Ein unübertreffliches Kapital.
Er sah auf die Uhr. Noch dreiviertel Stunden Zeit.
Fast vergnügt verließ er das Chefzimmer und ging hinüber zu seinem Oberarztraum. Es störte ihn nicht, daß ihm der Kriminalbeamte wie ein Schatten folgte.
Er übersah ihn stolz.
Die Untersuchungshaft war kurz. Nach den ständigen Verhören durch die Kriminalpolizei, den Haftrichter und der Staatsanwaltschaft ergab sich ein rundes Bild des Falles: Zwar war Dozent Dr. Bornholm der Vater des Kindes, auch wenn er es ableugnete, aber mit dem Tode Helga Herwarths hatte er nichts zu tun. Er hatte, wie alle Zeugen bestätigten, die Klinik erst am folgenden Mittag betreten und war entsetzt wie alle über das Vorgefallene. Um die junge Ärztin zu schützen, hatte er den ›Fehltritt‹ – wie er es vornehm in den Vernehmungen nannte – bagatellisiert.
Der letzte Brief Helgas war ein unsicheres Beweismittel. Sie schrieb zwar, daß sie sich an dem Abend, an dem sie dann starb, mit Dr. Bornholm treffen wollte … aber Bornholm schwor, sie nicht mehr gesehen zu haben. So stand die Aussage gegen den Brief einer Toten, und es war kein Grund vorhanden, dem Lebenden nicht zu glauben.
Übrig blieb der klare Tatbestand: Dr. Erika Werner hatte Helga Herwarth, die auf noch nicht geklärte Weise in die Klinik gekommen war, behandelt, sie hatte ihr das Kind wegnehmen wollen und dabei eine unglückliche Hand gezeigt. Es war ein glatter § 218 mit Todesfolge. Dr. Werner gestand es. Mit bleichem, starren Gesicht wiederholte sie immer wieder die Worte, die sie einstudiert hatte und von denen sie niemand abbringen konnte: »Ich habe es getan! Warum? Das Mädchen tat mir leid.«
Der einzige, der nicht an die Schuld Erikas glaubte, war Bruno Herwarth.
Nach einer Woche Aufenthalt in der Privatstation Professor Rahtenaus war er ruhiger geworden. Helga war in aller Stille beerdigt worden, und mit dem Zudecken des Sarges mit Erde und Tannengrün war die Nüchternheit des Alltags auch bei ihm zurückgekehrt. Er las die Anklageschrift Dr. Erika Werners und die Aussagen Dr. Bornholms, die Kommissar Flecken ihm unerlaubterweise zur Verfügung stellte.
»Sie hat es nicht getan!« sagte Bruno Herwarth, als er Theo Flecken die Protokolle zurückgab.
»Beweisen Sie es!« Flecken strich sich nervös über seine Haare. »Solange sie selbst bei dieser Aussage bleibt, ist Bornholm unangreifbar. Es gibt nur zwei Beteiligte in dieser Nacht, und davon deckt der eine den anderen. Was sollen wir tun?«
»Man wird diese kleine Ärztin verurteilen, nicht wahr?«
»Sicherlich. Sie gesteht ja.«
»Und Bornholm wird freigelassen?«
»Ja. Es kann zu einem Berufsgerichtsverfahren der Ärztekammer kommen – wegen der falschen Obduktion –, aber ich glaube, daß man bei einem so berühmten Mann die Sache im Sande verlaufen läßt.«
»Man sollte sein Gewissen ansprechen!«
»Sein Gewissen ist seine Karriere! Sie kennen doch diese Klasse Menschen. Wenn die kleine Ärztin die Nerven nicht verliert, ist der Fall zwar juristisch gelöst, aber restlos verfahren …«
Vier Wochen nur dauerte es, bis die Hauptverhandlung eröffnet wurde. In diesen dreißig Tagen
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