Dr. med. Erika Werner
versuchte der Anwalt Erikas alles, sie aus ihrer Abkapselung zu lösen. Es gelang ihm nicht. Resignierend verließ er stets das Sprechzimmer der Haftanstalt. Auf dem Flur wartete Kommissar Flecken.
»Nichts!« sagte der Anwalt böse. »Mir bleibt nichts übrig, als im Plädoyer um Milde für die ›geständige Täterin‹ zu bitten! Es ist zum Kotzen!«
Dreimal besuchte in diesen vier Wochen Petra Rahtenau ihren Verlobten Dr. Bornholm. Sie tat es gegen den Willen ihres Vaters. Professor Rahtenau hatte auf eine Lösung der Verlobung gedrängt, Petra hatte sich geweigert und behauptet, das Vorleben Alfs gehe sie nichts an. Und wenn er eine Ärztin decke, so zeige das einen großen Charakter, den man bewundern sollte, aber nicht verurteilen könnte.
Jedesmal, wenn sie Bornholm besuchte, kam er ihr wie ein glücklicher Junge entgegen, küßte sie und hielt lange ihre Hand fest. Der stumme Beamte auf seinem Stühlchen in der Ecke störte sie nicht … sie sahen sich lange an und Petra war es, als habe sie noch nie eine solch tiefe Liebe zu Alf empfunden wie jetzt, wo er wegen einer hochherzigen Tat in einer Zelle sitzen mußte.
»Wenn du wieder frei bist, werden wir sofort heiraten«, sagte sie bei ihrem letzten Besuch.
Bornholm streichelte ihre schmalen Hände mit den hellviolett gelackten Nägeln. Seine kummervolle Miene verstärkte den starken männlichen Eindruck seines scharfen Gesichtes.
»Dein Vater wird alles unternehmen, es zu verhindern …«
»Das hat er bereits. Es ist sinnlos. Ich liebe dich … dagegen gibt es keine Argumente.«
»Ich werde es jetzt schwer haben, wieder einen makellosen Namen zu bekommen.«
»Man wird bald diese dumme Geschichte vergessen. Aber diese Ärztin, diese Erika Werner, könnte ich umbringen, daß sie dich in eine solche Lage gebracht hat –«
»Petralein …« Bornholm küßte ihre Finger. »Sie hat es vielleicht aus Mitleid getan, so wie ich auch aus Mitleid handelte. Seien wir ihr nicht böse … sie wird noch manche schreckliche Wochen dafür büßen müssen …«
Und während Petra Rahtenau von den kleinen Alltagssorgen plapperte, saß Erika Werner allein in ihrer kleinen Einzelzelle und starrte gegen die graugetünchte, mit obszönen Zeichnungen und Sprüchen verzierte Wand.
Sie hatte Angst vor dem Prozeß, Angst vor dem Urteil, Angst vor dem Zuchthaus, das sie erwartete. Nur der Glaube, daß Alf Bornholm sein Versprechen halten werde, gab ihr die Kraft, alles zu überwinden, was sie niederdrücken konnte.
Kurz vor dem Prozeß gelang es dem Anwalt, die Erlaubnis zu bekommen, daß sich Bornholm und Erika noch einmal sahen und sprachen. Kommissar Flecken versprach sich einen seelischen Schock von dieser Begegnung, der vielleicht ein anderes Geständnis auslösen konnte. Unter den Augen von drei Beamten, die jedes Wort mit einem in der Rocktasche verborgenen Tonbandgerät aufnahmen, standen sie sich an einem Morgen gegenüber.
Erika Werner blieb an der Tür stehen, als sie Alf Bornholm vom Tisch des Sprechzimmers aufspringen sah. Ihr Gesicht wurde abwechselnd weiß und blutrot.
»Du«, sagte sie leise.
»Wir werden nach dem Prozeß keine Gelegenheit mehr haben, uns so nahe zu sehen«, sagte Bornholm stockend. »Und bevor du …«, er schluckte und sah unsicher auf seine Hände. »Erika … ich wollte dir noch etwas sagen, was du mitnehmen sollst in das Schwere, das dich erwartet: Ich werde bei dir sein, in Gedanken, immer, und ich werde warten. Wenn du dann wieder zurückkommst, wollen wir heiraten …«
Sie sah ihn an, groß, voller Glauben an das, was er sagte. Dann nickte sie, senkte den Kopf, wandte sich ab und verließ das Sprechzimmer. Mit mahlenden Backenmuskeln starrte Bornholm auf die Tür, die sich hinter Erika geräuschlos schloß. Aus einer Ecke des Raumes trat Kommissar Flecken an Bornholm heran.
»Ich denke, Sie werden Petra Rahtenau heiraten?« fragte er hart.
Bornholm gab ihm keine Antwort.
Er drehte sich um und ging zur anderen Tür hinaus in seine Zelle.
Der Prozeß war kurz und durchaus keine Sensation, wenn auch viele Pressevertreter herumsaßen und die junge, bleiche Ärztin unter das Feuer ihrer Blitzlichter nahmen.
Fragen zur Person, Lebenslauf, Geständnis der Tat, sichtbare Reue, Motiv: weibliches Mitleid mit einer Gestrauchelten, Zeugenvernehmungen, die allesamt günstig für die Angeklagte waren und das Bild einer strebsamen, beliebten und stillen Ärztin rundeten. Plädoyers des Staatsanwalts und des Verteidigers,
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