Dr. med. Erika Werner
nicht aus der Psychiatrie! Ich bin völlig normal! Ich bin Rechtsanwalt und vertrete Ihre arme Kollegin Doktor Erika Werner.«
Der 2. Oberarzt machte ein saures Gesicht. »Das war vielleicht ein Skandal. Hätten wir der netten Kleinen nie zugetraut.«
»Das ist nett. Sie war's auch nicht!«
Dr. Plattner grüßte freundlich und ließ den verblüfften Oberarzt stehen. An den verstummenden anderen Operateuren vorbei ging er forschen Schrittes aus dem OP-Trakt zum Treppenhaus, hinein in ein hin und her hastendes Leben. Es war Besuchszeit, und zu allen Zimmern und über alle Flure eilten die Verwandten und Freunde.
Dr. Plattner lehnte sich an die riesige Säule, die das Treppenhaus vom Dach bis zur Eingangshalle hielt und entfaltete wieder seinen Plan.
Also vom OP ging es wieder rückwärts, dachte er. Mit dem Aufzug hinab in den Leichenkeller. Dort bildete sie dann das große Rätsel: Wie kommt eine unbekannte, in der Aufnahme nicht eingetragene Tote ins Haus?!
Eines stellte sich jedenfalls als völlig unmöglich heraus: Die Aussage Erika Werners, daß die Sterbende plötzlich bei ihr ans Zimmer geklopft habe! Um zu der Wachstation zu kommen, in der sich Dr. Erika Werner in jener Nacht aufhielt, hätte Helga Herwarth eine vorzügliche Kennerin der Klinik sein müssen. Außerdem wäre sie dann von den Nachtdiensten mehrfach gesehen und sicherlich angesprochen worden. Helga Herwarth aber war nie in der Klinik gewesen! Nur der kürzeste und unsichtbarste Weg … Keller – Aufzug – OP-Trakt und zurück … war der richtige, und ihn konnte Helga Herwarth nur mit fremder Hilfe gegangen sein! Das war so zwingend logisch, daß allein dies genügen sollte, eine Wiederaufnahme durchzusetzen.
Er steckte seinen Plan wieder ein und hielt eine Ordensschwester an, die mit einem Spritzentablett an ihm vorbeirauschte.
»Wo kann ich die Schwester Oberin sprechen, Schwester?«
»Im Parterre. Zimmer vierzehn. Aber ich glaube nicht …«
Dr. Plattner hörte sich nicht an, was nicht geglaubt wurde … er rannte die Treppen hinab, suchte im Seitenflur der Eingangshalle das Zimmer vierzehn und klopfte an. Bevor er eine Antwort erhielt, trat er ein und fand die Oberin hinter einem Schreibtisch sitzen. Sie telefonierte. Verwundert musterte sie den jungen Mann durch ihre dicken Brillengläser.
»Rechtsanwalt Doktor Plattner«, stellte sich Plattner vor.
Seine Worte hatten eine verblüffende Wirkung. Die Oberin sagte ins Telefon: »Danke. Durch einen Zufall erübrigt sich mein Anruf. Schönen Dank!« und legte den Hörer zurück. »Sie sind wirklicher Rechtsanwalt?« fragte sie streng. Dr. Plattner nickte verlegen.
»Ja. Natürlich! Langestraße zwölf ist meine Praxis. Zugelassen auch zum Landgericht. Darf ich fragen …«
»Ich brauche Sie, Herr Doktor.« Die Gestalt in der weit wallenden schwarzen Haube erhob sich hinter dem Schreibtisch, »ich telefonierte gerade nach einem Anwalt, ich brauche sofort einen. Unsere Schwester Lutetia ist sehr schlecht dran … und sie verlangt neben einem Pfarrer auch nach einem Rechtsanwalt. Warum, das weiß ich nicht. Aber es ist vielleicht der letzte Wunsch der guten Lutetia.«
»Vielleicht ein Testament?«
»Nein! Ihre Habe gehört dem Orden. Sie ist sehr unruhig. Können Sie gleich mitkommen? Wir können uns dann später darüber unterhalten, was Sie zu mir führte.«
»I ch stehe ganz zu Ihren Diensten, Schwester Oberin.«
Die schwarze Gestalt wandelte an Dr. Plattner vorbei zur Tür. Bevor die Oberin sie aufklinkte, wandte sie sich noch einmal um.
»Sie werden jetzt eine Ordensschwester ohne Haube und im Bett sehen«, sagte sie streng. »Das ist nur durch den Letzten Willen der Sterbenden bedingt, und ich betrachte Sie als eine Amtsperson. Es ist sonst verboten.«
»Ich weiß, Schwester Oberin.« Dr. Plattner biß sich auf die Unterlippe. Irgendwie war er erregt. Daß eine sterbende Schwester nach einem Rechtsanwalt verlangte, war ungewöhnlich.
Sie gingen den Gang entlang bis zum Ende. Dort hing an einer Zimmertür ein Schild. Eintritt verboten! In einem Korbsessel, der in einer Nische des Flures stand, saß eine Schwester in weißer Haube. Ein Wächter vor dem Zimmer, in dem bereits der Tod am Bett saß.
Leise öffnete die Oberin die Tür. Fast auf Zehenspitzen trat Dr. Plattner ein. Um ein Bett, das mit einem weißbespannten Schirm gegen die Tür unsichtbar gemacht war, saßen vier andere Schwestern und beteten. Sie sahen nicht von ihren Gebetbüchern auf, als die Oberin und Dr.
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