Dr. med. Erika Werner
Merkbuch. »Danach wollte sie nicht mehr leben. Nicht wahr?«
»Das ist psychologisch verständlich. Wenn man entdeckt, daß der Mann, für den man im Zuchthaus sitzt, ein Schwein ist …«
»Nana!« Professor Berrenrath sah den jungen Arzt tadelnd an. »Professor Bornholm ist über jeden Zweifel erhaben! Außerdem, ist das nicht die richtige Ausdrucksweise unter Kollegen. Das darf ich Ihnen als der Ältere sagen.«
»Ich behalte meine Ansicht, Herr Professor!«
»Bitte!« Berrenrath zuckte mit den Schultern. »Was geschah nach diesem Nervenschock? Zeigte sie eine besonders auffällige Lethargie oder eine notorische Unruhe? Stellten Sie Veränderungen in der Sprechweise fest, unzusammenhängende Gedankengänge …?«
»Wo hinaus wollen Sie eigentlich?« Dr. Rumholtz sah hinüber zu dem Zuchthausdirektor. Der hob bedauernd die Hände. »Will man Fräulein Werner für irr erklären?! Hat Bornholm, dieser Lump, das wirklich beantragt?! Er hat es ihr bei seinem letzten Besuch angedroht … wir haben es alle gehört! Und Sie, Herr Professor, geben sich dazu her, als Gutachter –«
»Ich möchte die Kranke sehen!« sagte Berrenrath schroff. Er sagte nicht mehr: Die Strafgefangene oder Erika Werner … er sagte klar: Die Kranke! Dr. Rumholtz merkte sofort den Unterschied.
»Erika Werner ist nicht krank!« sagte er laut.
»Diese Beurteilung bitte ich mir zu überlassen.«
Dr. Rumholtz biß sich auf die Lippen. Es hatte keinen Sinn, einen Skandal zu entfesseln. Er würde den kürzeren ziehen. Mit schnellen Schritten ging er voraus und riß die Tür zu dem kleinen Zuchthaus-OP auf. Professor Berrenrath und die anderen Herren folgten ihm.
Erika Werner stand am OP-Tisch. Friedel Bartnow, die Mörderin, lag ausgestreckt auf ihm, das genagelte Bein in einer Gipswanne. Sie drehte den Kopf zur Seite, als die Tür aufgerissen wurde und tippte mit der Hand Erika an.
»Du, Doktorin … 'ne Seltenheit! Ein ganzer Schwarm Männer bei uns! Wenn dat die Helga Pilkowski wüßte! Die knabberte die Gitter an!«
»Ruhig liegen!« sagte Erika. Sie drehte sich nicht um. Nur ihr Kopf beugte sich tiefer über das Bein. Sie spürte, daß nichts Gutes in den OP gekommen war.
»Was macht sie denn da?« fragte Professor Berrenrath erstaunt. Er hatte eine Zuchthausinsassin in ihrer groben Anstaltskleidung erwartet und fand ein gepflegtes Mädchen in einem weißen Arztkittel vor.
»Sie assistiert mir, Herr Professor.« Dr. Rumholtz steckte die Hände in die Kitteltaschen. Er hatte die Fäuste geballt und man sollte es nicht sehen. »Mit höchster Erlaubnis übrigens. Fräulein Werner kontrolliert gerade einen komplizierten Knochenbruch, den sie vor drei Wochen mit einem Küntschernagel richtete.«
»Mit einem …« Professor Berrenrath sah sich um. »Hier?«
»Ja, hier! So etwas bringen ja wohl auch nur Irre fertig.«
Professor Berrenrath schluckte diesen giftigen Vorwurf. Mit hochrotem Gesicht trat er an den OP-Tisch heran. Er war zwar Psychiater und verstand überhaupt nichts von Knochenbrüchen, aber er tat so, als habe er nie etwas anderes getan, als Küntschernägel eingeschlagen.
Plötzlich zuckte sein Kopf hoch. Seine grauen Augen sahen Erika scharf an.
»Warum sind Sie hier?«
»Weil ich einen Lumpen liebte«, sagte Erika ruhig.
Professor Berrenrath nickte. Sein Gesicht wurde freundlicher. Haßpsychose, dachte er. Vom Manischen her kommende seelische Selbstverstümmelung.
»Sie fühlen sich unschuldig?«
»I ch bin es.«
»Was würden Sie tun, wenn man Sie jetzt freiließe und Ihnen sagte: Sie sind wirklich unschuldig?«
»Ich weiß es nicht …«
»Das wissen Sie nicht?«
»Nein. Ich habe Angst vor dem lauten Leben da draußen. Hier ist es ruhig … die Kranken, auch wenn sie Verbrecherinnen sind, sind dankbar für jede kleine Liebe, die man ihnen entgegenbringt. Und am Abend hat man sein kleines Zimmer mit dem vergitterten Fenster, und man weiß … durch dieses Gitter kannst du nicht heraus … aber auch niemand, nichts kann herein. Du bist irgendwie geborgen.«
Professor Berrenrath sah seine beiden Begleiter vieldeutig an. »Geborgen – nennen Sie das?!« sagte er gedehnt. »Allerdings, so kann man es auch auffassen. Sie wollen also vom Leben nichts mehr wissen?«
»Was nennen Sie Leben? Der Haß und Streit, die Mißgunst und das gegenseitige Betrügen, diese Kloake von Gemeinheit, um die sich vier Fünftel dessen dreht, was man Leben nennt?! Zählen Sie mir jetzt nicht die Schönheiten auf, die das Leben zu
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