Drachenboot
gesucht hatten. Hier mussten wir wegen der Gefahr, auf Grund zu laufen, das Segel einholen.
Alle stöhnten, denn jetzt mussten wir flussaufwärts rudern, und das mit dieser kleinen Mannschaft. Die Elk war ein schweres Schiff, und statt zwei Mann auf jeder Ruderbank hatten wir nicht einmal alle Ruderbänke mit einem Mann besetzt.
Ich schwitzte mit den anderen, aber wenigstens lenkte mich das von dem Jungen ab, den Thorgunna sofort unter ihre Fittiche genommen hatte. Ref hatte ihm ohne große Schwierigkeiten den eisernen Ring abgenommen, und Thorgunna machte sich daran, die wunden Stellen an seinem Hals zu waschen und mit Salbe zu behandeln, ebenso wie die Wunden auf seinem Kopf, der so grob und stümperhaft rasiert worden war. Die alten weißen Narben deuteten darauf hin, dass es mehrmals geschehen war. Thorgunna hatte reichlich mit ihm zu tun.
Finn, der jetzt glücklich grinste, weil er endlich wieder auf Raubzug war und Geld erbeutet hatte – und nicht nur Bettfedern und Eicheln –, stieß Kvasir an, der vor ihm saß und mit aller Kraft ruderte.
»Du wirst da nicht mehr gebraucht, Sabberer«, kicherte er und deutete mit dem Kopf zu Thorgunna hinüber, die den Jungen gerade in einen warmen Umhang wickelte und
ihm liebevoll auf den Rücken klopfte. Ich fragte mich, ob sie weiterhin so liebevoll mit ihm umgehen würde, wenn sie erfuhr, was er getan hatte, wozu er die Männer dort in Svartey angestiftet hatte.
Der Wind pfiff, die Wasseroberfläche kräuselte sich, und die Sklavinnen drängten sich aneinander und bliesen in die rauen, aufgesprungenen Hände. Aber selbst diese Kälte war nicht so kalt wie die Toten, die wir zurückgelassen hatten.
»Mir scheint«, keuchte Kvasir mühsam zwischen den Ruderschlägen, »dass ich ihr einen Schatz mitgebracht habe, der ihr mehr bedeutet als mein Anteil an dem Geld. Vielleicht, wenn ich ihr daraus eine Halskette mache …«
»Sie ist die reinste Glucke. Du solltest ihr so bald wie möglich ein Kind machen«, sagte Finn, worauf er einen mürrischen Seitenblick von Kvasir erntete.
Vor meinen Augen sah ich wieder die plumpen Ärmchen und den runden kleinen Bauch, weiß wie ein Fisch und so klein, dass Thorkels blutige Hand dagegen riesig wirkte. Der rote Mund und die angstvoll aufgerissenen blauen Augen, das hochrote, brüllende Gesicht, die Schreie der gefesselten Mutter.
Krähenbein hatte sie mit wildem Triumph angefunkelt, dann hatte er Thorkel zugenickt, der das Kind gegen einen Stein schleuderte. Das Schreien verstummte, man hörte nur ein Klatschen und das noch lautere Schreien der Mutter. Und ich sah tatenlos zu und sagte nichts.
Was hatte sie Krähenbein angetan? Das wollte er nicht sagen, außer dass sie eine von Randr Sterkis Frauen war, also war das Kind von ihm. Wahrscheinlich war sie gemein zu ihm gewesen, vielleicht war sie es, die ihm den Schädel rasiert hatte. Es hatte keinen Sinn, das begonnene Blutbad aufhalten zu wollen, denn für die Mutter war der Tod kurz darauf nur noch Erlösung.
Ja, er war schon sonderbar, dieser Junge. Denn obwohl Überfälle und grausame Kämpfe den Männern nichts Neues waren, konnten sie sich hinterher kaum in die Augen sehen. Diese Tat, zu der er sie aufgefordert hatte, war etwas so Schreckliches, dass selbst diese hartgesottenen Männer sich dafür schämten.
Falls es kein Seidr-Zauber war, was er da entfesselt hatte, so war es doch etwas Ähnliches. Und auch später erlebten wir, dass eine gewisse Macht von ihm auszugehen schien: Als wir in die Flussmündung fuhren und uns durch das graugrüne Wasser kämpften, legte Gisur die aufgesprungenen, kalten Hände seitlich an die Augen und spähte nach allen Seiten im Dunst nach einem Hinweis auf die Küste. Plötzlich war der Junge aufgestanden und hatte mit dem Finger in eine Richtung gezeigt. »Dorthin«, sagte er. Man hörte die Männer kichern, und Gisur musste sich einigen Spott gefallen lassen. Dann verkündete der schöne Lambi, der Ausguck, dass er Rauch sehe.
»Nein«, sagte der Junge bestimmt. »Das ist kein Rauch. Das sind Vögel.«
Und so war es, ein großer Schwarm. Seeschwalben, sagte der Junge, noch ehe Lambis Adlerauge feststellen konnte, ob es sich um Seeschwalben oder Tölpel handelte.
»Woher weißt du das?«, wollte Hauk Schnellsegler wissen.
»Man hört es«, sagte der Junge. »Sie rufen sich gegenseitig zum Festmahl und jubeln vor Freude. Dort gibt es Hering. Vielleicht wollt ihr ja auch fischen.«
Er hatte recht, die Seeschwalben tauchten und
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