Drachenboot
auch aussteigen und laufen«, schrie jemand. Ich drehte mich um und sah in ein Gesicht, dessen schwarzer Bart von Eiskristallen überzogen war. Er war in einen Umhang gewickelt, einen zweiten hatte er um den Kopf geschlungen, aber sein Gesicht war rot, und er schwitzte von der Anstrengung, mit dem Schlitten Schritt zu halten. Und Schwitzen war nicht gut für ihn, dachte ich mit Befriedigung.
»Lass ihn, wo er ist«, kam die bekannte heisere Stimme von Martin, der ihn gerade überholte. »Dort können wir ihn besser im Auge behalten, Tyrfing.«
Noch ehe ich passende Worte gefunden hatte, um ihn zu verfluchen, war er schon wieder verschwunden.
Jetzt erinnerte ich mich auch an den Schwarzbärtigen; Tyrfing, ein Sachse, der zu Klerkons Männern gehört hatte. Ich erkannte zwei weitere aus dieser Gefolgschaft – doch dann war meine Überraschung komplett, als zwei Männer, die ich sehr gut kannte, näher kamen, um sich mit den Schultern gegen den Schlitten zu stemmen und die stolpernden Pferde zu entlasten. Sie hielten die Köpfe gesenkt, um mich nicht ansehen zu müssen.
Drumba und Heg, meine eigenen Sklaven. Sie trugen warme Pelze und Umhänge, die offenbar gestohlen waren, dazu hatten sie Äxte und Messer im Gürtel stecken. Die slawische Stimme, die ich nicht erkannt hatte, war die von Drumba gewesen.
Slawen – ich verwünschte meine Dummheit. Ich hatte diese in ihre Heimat mitgenommen, ohne daran zu denken, dass sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit fliehen
würden. Bei Odins Arsch, vielleicht waren sie nicht mehr als eine Nasenlänge von ihrem Heimatort entfernt, den sie mehr als zehn Jahre nicht gesehen hatten. Aber wen kümmert es auch, was Sklaven denken?
»Wladimir wird euch finden«, sagte ich zu den geduckten Köpfen mit den Wollmützen. »Aber so weit habt ihr natürlich nicht gedacht.«
Heg hob den Kopf und reckte trotzig das Kinn vor. »Das hier ist immer noch besser als bei irgendeiner verrückten Jagd nach einem Silberschatz umzukommen«, sagte er. »Was hätten wir denn davon?«
Da sie Sklaven waren, gar nichts. Und was hatte man ihnen hierfür versprochen? Ich fragte, und Drumba gab dem Schlitten einen letzten starken Stoß, dann blieb er stehen und hauchte in seine aufgesprungenen Hände.
»Genug«, sagte er, während der Abstand zwischen uns größer wurde. »Eine Beteiligung und die Möglichkeit, freizukommen.«
»Ihr werdet nie frei sein«, rief ich ihm zu, und es klang überzeugter, als ich selbst es war. »Was ihr höchstens noch zu erwarten habt, ist ein Pfahl im Arsch.«
Der Reiter vor uns machte kehrt und kam in leichtem Trab an den Rand des Schlittens. Er zog den Umhang beiseite, mit dem er sein Gesicht bis auf die Augen verhüllt hatte, um die er sich mit Holzkohle große schwarze Ringe gemalt hatte – ein Mittel in der Steppe gegen den blendenden Schnee.
»Schrei, so laut du willst, junger Orm«, sagte er leise lachend. »Hier ist niemand, den das interessiert.«
Thorkel. Er grinste mich an, und ich hätte mich am liebsten vom Schlitten auf ihn gestürzt – aber schon bei der kleinsten Bewegung tat mir der Kopf weh, und ich schluckte meinen Zorn hinunter.
»Du forderst das größte Unglück deines Lebens herauf«, sagte ich zu ihm. »Und das will bei dir was heißen. Die Nornen müssen dich wirklich hassen, Thorkel, denn sie sind gerade dabei, das Gewebe deines Lebens aufzutrennen.«
Er runzelte die Stirn, dann zuckte er die Schultern. »Im Gegenteil. Ich denke, jetzt wird sich das Blatt für mich wenden. Wir verkaufen dich und den Jungen an Jaropolk, damit kommen wir sicherer und zuverlässiger an Geld, als wenn wir hinter diesem Silberschatz in der Steppe herjagen.«
Das war es also, und ganz eindeutig war es Martins Idee. Aber was hatte er davon?
Auf meine Frage zuckte Thorkel die Schultern. »Er kann mit seinem heiligen Stück Holz verschwinden und braucht deine Unternehmung nicht mitzumachen«, sagte er und sah zu Martin, der mit fliegendem Haar und zwei Bündeln auf dem Rücken hinterhermarschierte. In seiner zerschlissenen Robe und den viel zu großen Schuhen musste er halb erfroren sein, er ließ sich jedoch nichts anmerken, aber seine Hand, mit der er seinen Stab umklammert hielt, war bläulich weiß vor Kälte.
»Und das glaubst du? Nach allem, was du über diesen Mönch weißt?«
Thorkel runzelte die Stirn, doch dann hellte sich sein Gesicht auf. »Das werden wir wissen, sobald wir Kiew erreicht haben.«
»Ihr werdet Kiew nie erreichen.«
Er
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