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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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angefertigt, um einmal – ein einziges Mal – getragen zu werden; von einem Menschen, dessen böser Charakter ihn direkt ins Totenreich der Hel führen würde, auf einer Straße voller Dornen und über einen Fluss aus scharfen Eisenklingen. Diese dicken Schuhsohlen würden ihm die schmerzhaften Verletzungen ersparen, was eine unverdiente letzte Barmherzigkeit derer war, die ihn begraben hatten.
    »Ja«, sagte Finn, der hinzugetreten war, »irgendwo wird jetzt ein hartherziger Mensch auf seinem Weg zu Hel diesen Mönch verfluchen, weil er ihn im Grabe beraubt hat.«
    Das hätte Martin nicht viel ausgemacht, denn seiner Auffassung nach handelte es sich ja um Heiden, denen er im Tode das stahl, was er gerade brauchte. Doch es zeigte auch, wie tief Martin gesunken war und wie weit er sich von dem untadeligen, gottesfürchtigen Christenpriester entfernt hatte, der einst in der prächtigen Halle von Birkas Festung mit Illugi Godi über den rechten Glauben gestritten hatte.
    »Was macht der Junge?«, fragte ich. Finn grinste.
    »Nass gepisst und ziemlich durchgefroren. Du hast ihm das Leben gerettet.«
    »Er hat das meine gerettet«, erwiderte ich. »Die Höhle unter dem Schlitten war seine Idee.«
    Finn zog die Brauen hoch und sah mich an. Sein Blick sagte alles, denn er wusste, wie mir zumute sein musste, weil ich diesem Jungen Wergeld für mein Leben schuldete.
    Ja, was empfand ich eigentlich? Mir war, als sei ich in einen
Sumpf geraten. Früher oder später würde der kleine Krähenbein seinen Lohn von mir fordern, und es würde weder billig noch einfach für mich sein. Allerdings hatte ich im Moment andere Sorgen.
    »Und die andere … Leiche?«, fragte ich und hoffte entgegen aller Wahrscheinlichkeit, dass es sich doch noch als etwas anderes herausgestellt hatte, dieses Bündel, das man neben Thorkels Leiche aus dem Schnee gegraben hatte.
    »Eine Frau … wenn es das ist, was du befürchtet hast, Händler«, brummte Finnlaith, und wir drehten uns um und starrten auf das kalte, starre, in Lumpen gehüllte Etwas, das wir von dort mitgebracht hatten, wo Thorkel es tot liegen gelassen hatte. Ich hatte ihren kurzen Aufschrei gehört, der Schnee war aufgestoben, und dann hörte ich Thorkels Flüche, als er außer sich vor Hass mit dem Schwert auf sie einhieb, ehe er selbst starb.
    »Oior pata«, hatte Tien geflüstert, als Ospak das Gesicht der Frau vom Schnee befreit hatte. Dann war der kleine Bulgare ganz in sich zusammengesunken und hatte nichts mehr gesagt. Avraham, der große rothaarige Chasare, hatte mir erklärt, dass das ein altes skythisches Wort war, was so viel wie »Männerhasser« bedeutete.
    Thorkels unbändige Wut hatte sie schrecklich zugerichtet, aber man erkannte noch die schön verzierte Kleidung, und die Tätowierungen auf dem Gesicht traten durch die Leichenblässe noch stärker hervor. Auf ihren blauweißen Wangen waren alte Narben, und ihr Haar war zu Zöpfen geflochten und hinten zusammengebunden, wie es bei Kriegern üblich ist.
    Sie war jung – aber sie war keine Thrall und auch kein Mädchen, bei dem man Lust bekommen hätte zu schäkern, wie Jon Asanes bemerkte, als er und Silfra sie auf den Wagen luden. An einem Lederband trug sie einen Eberzahn
um den Hals, und ich zweifelte nicht daran, dass sie das Tier selbst erlegt hatte. Sie hatte Schwielen an den Handflächen und kräftige Daumen, auf einem steckte noch der Zugring für die Bogensehne.
    »Ihre Waffen sind Schwert und Steppenbogen«, bemerkte Finn. Außerdem hat sie O-Beine – seht her. Sie hat mehr Zeit auf dem Pferd als auf ihren eigenen Beinen zugebracht, und diese Hände hat sie nicht vom Suppekochen und Kindergroßziehen bekommen.«
    Aber es war ihr Kopf, der uns die meisten Rätsel aufgab. Der Schädel war merkwürdig geformt, lang gezogen und vorn abgeschrägt, wodurch die Narben auf den Wangen nur noch stärker hervortraten, die ebenfalls zu regelmäßig waren, als dass sie durch zufällige Verletzungen entstanden sein konnten. Die Männer machten Abwehrzeichen gegen den bösen Blick und fingen an, von Niflheim zu flüstern.
    »Zwerge?«, sagte Gyrth abfällig. »Unterirdische Schmiede? Und wann sollten die sich in langköpfige Weiber verwandelt haben, die wie Männer in der Schneewüste umherreiten und kämpfen?«
    Jon Asanes hatte die Erklärung. Zwar hörte Avraham, der Chasare, nicht auf, die heiligen Schriften der Juden zu zitieren, nach denen es verboten war, von solch unreinen Dingen überhaupt zu sprechen, doch

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