Drachenelfen
dunklen Augen in dem knochenweißen Totenkopf.
»Einst duellierten sich Prinzen um das Privileg,
diese Hand zu küssen, als sie noch zart und glatt war«, meinte sie.
»Das würden sie immer noch, Gang«, sagte Hugh.
»Sie wären nur allzu glücklich, einige von ihnen.«
»Ja, alter Freund, aber nicht mehr im Dienst an
der Schönheit. Was ich jetzt habe, ist besser. Ich möchte das Rad der Zeit
nicht zurückdrehen. Setz dich neben mich, Hugh, hierher, zu meiner Rechten. Du
wirst Zeuge der Aufnahme dieses jungen Mannes sein.«
Ciang bedeutete ihm, sich einen Stuhl
heranzuziehen. Hugh hielt nach einem Ausschau, als der Halbwüchsige
diensteifrig aufsprang.
»Erlaubt m-mir, Sire«, sagte er stotternd und
mit roten Ohren. Er schleppte einen schweren Stuhl aus dem auf Arianus so
kostbaren Holz herbei und stellte ihn dort nieder, wo Ciang es haben wollte,
rechts von ihr.
»Und – und Ihr seid wirklich Hugh Mordhand?« Er
starrte Hugh bewundernd an.
»Er ist es«, antwortete Ciang. »Nur wenigen wird
die Ehre der Hand zuerkannt. Eines Tages wirst du vielleicht derjenige sein,
aber vorläufig beuge dich vor dem Meister.«
»Ich – ich kann’s nicht glauben«, stammelte der
Junge überwältigt. »Daß Hugh Mordhand hier sein soll, bei meiner Initiation!
Ich – ich…« Ihm fehlten die Worte.
Sein älterer Begleiter, den Hugh nicht kannte,
zog den Jungen am Ärmel zu seinem Platz an der Schmalseite des Tisches zurück.
Er bewegte sich mit der Ungelenkheit der Jugend, einmal stolperte er über
seine eigenen Füße.
Hugh sagte nichts, schaute Ciang nur an. Ihr
Mundwinkel zuckte, aber sie schonte die Gefühle des Jungen und unterdrückte
ihr Lachen.
»Gebührender Respekt«, sagte sie ernst. »Vom jüngeren
dem älteren bezeugt, wie es sich ziemt. Der Name des Probanden ist John Darby.
Als Fürsprecher fungiert Ernest Twist. Ich glaube nicht, daß ihr beiden euch
kennt?«
Hugh schüttelte den Kopf. Ernest tat dasselbe,
dazu verbeugte er sich ruckartig und zupfte an seinen Haaren – eine tumbe,
hinterwäldlerische Geste der Hochachtung. Der Mann sah auch aus wie ein
Hinterwäldler, mit seinen ausgebeulten, geflickten Kleidern, dem speckigen Hut
und den abgelaufenen Schuhen, doch wer ihn unterschätzte, lebte vermutlich
nicht lange genug, um seinen Irrtum einzusehen. Die Hände waren lang und
schmal, mit weißen Fingern, die ganz gewiß nie harte Arbeit verrichtet hatten.
Und seine unsteten Augen hatten einen merkwürdigen, rötlichen Glanz, der Hugh
zutiefst mißfiel.
»Twists Narben sind noch frisch«, bemerkte
Ciang, »doch er ist bereits von fourreau zu pointe aufgestiegen
und wird l’epee erreichen, bevor das Jahr um ist.«
Hohes Lob von Ciang. 59 Hugh musterte den Mann ohne
Sympathie. Das war einer von denen, die sich für ›einen Apfel und ein Ei‹
anheuern ließen, wie man zu sagen pflegte. Eine gewisse Reserviertheit und der
kühle Unterton in ihrer Stimme schienen Hugh ein Hinweis darauf zu sein, daß
Ciang seine Empfindung teilte. Aber die Bruderschaft fällt keine moralischen
Werturteile, und dieses Mannes Geld war so gut wie das jedes anderen. Solange
Ernest Twist die Gesetze der Bruderschaft befolgte, war es seine eigene
Angelegenheit, wie er sie draußen mißbrauchte, mochten seine Methoden auch
nicht sehr liebenswert sein.
»Twist benötigt einen Partner«, fuhr Ciang fort.
»Er hat den jungen Mann präsentiert, John Darby, und nach reiflicher Überlegung
habe ich zugestimmt, ihn unter den gültigen Bedingungen in die Bruderschaft
aufzunehmen.«
Ciang erhob sich, Hugh ebenfalls. Die Elfenfrau
war groß und hielt sich gerade; die leicht nach vorn gebeugten Schultern waren
das einzige Zugeständnis an ihr hohes Alter. Ihre langen, fließenden Gewänder
bestanden aus feinster Seide, in den schillernden Farben und phantasievollen
Mustern, die die Elfen so liebten.
Sie war eine majestätische Erscheinung,
einschüchternd, gebieterisch.
Darby – unzweifelhaft ein kaltblütiger Mörder,
irgendwie mußte er sich schließlich für die Aufnahme empfohlen haben – wurde
abwechselnd rot und blaß und sah aus, als müßte er sich vor Aufregung gleich
übergeben.
Sein Begleiter versetzte ihm einen derben Stoß
in den Rücken. »Halt dich gerade. Sei ein Mann«, zischte er ihm ins Ohr.
Der Junge schluckte, richtete sich auf, holte
tief Luft und sagte, wenn auch mit blassen Lippen: »Ich bin bereit.«
Ciang sah Hugh aus den Augenwinkeln an
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