Drachengasse 13, Band 03
Wie finden wir die Gemächer der Königinlarve? Es gibt hier schließlich nirgendwo Straßenschilder.“
Tomrin wirkte etwas verlegen. „Äh, ich schlage vor, wir fragen einfach jemanden nach dem Weg.“
„Wir fragen?“ Hanissa runzelte die Stirn. In diesem Augenblick fiel ihr etwas ein, das sie bis dahin vollkommen vergessen hatte. Sie schnippte mit den Fingern. „Wir fragen! Gute Idee, Tomrin. Los, komm, ich weiß, wer uns weiterhelfen kann.“
Sie wollte schon nach draußen laufen, da hielt Tomrin sie zurück. „Warte! Wir tarnen uns besser noch ein wenig. Deine roten Haare und unsere Kleider sind furchtbar auffällig. Vielleicht finden wir ein paar alte Säcke hier, die wir uns überwerfen können.“
„Auch wenn du dir einen alten Sack überziehst, wirst du nicht wie ein Xix aussehen“, meinte Hanissa spöttisch.
„Das nicht, aber zumindest sehe ich auch nicht mehr wie der Sohn des Stadtgardehauptmanns aus“, entgegnete Tomrin. „Vielleicht hält man uns stattdessen für groß gewachsene Gnome. Zumindest fällt brauner Stoff hier im Bau weniger auf als mein Wams und dein Rock.“ Er fuhr mit einer Hand über den edlen Stoff seiner Ausgehkleidung.
„Du hast vielleicht recht“, stimmte Hanissa ihm zu. „Dann schauen wir mal.“
Die beiden begannen, die Kisten und Tonbehälter zu öffnen, die in dem Abstellraum herumstanden. Und sie hatten Glück! In einer Kiste fanden sie einen Stapel zerschlissener Wolldecken, auf denen das Emblem einer der Heilergilden eingestickt war.
„Großartig“, sagte Tomrin zufrieden, während er sich eine der Decken über die Schultern legte und eine zweite wie eine Kapuze um den Kopf schlang. „Man wird uns für Patienten der Heilergilden halten, die bei all dem Durcheinander, das im Moment herrscht, verwirrt durch die Gänge wandern. Besser konnte es doch kaum kommen.“
„Wollen wir’s hoffen … “, erwiderte Hanissa.
In die Decken gehüllt, schlüpften sie aus dem Raum zurück in den Gang. Kein Xix war zu sehen, aber von irgendwoher hallte das Trappeln von Schritten durch die Korridore, und das beunruhigende Zischen und Kreischen wahnsinnig werdender Insekten war zu hören.
„Und jetzt?“, fragte Tomrin.
„Warte.“ Hanissa ließ ihren Blick über die rotbraunen Wände schweifen, bis sie entdeckte, wonach sie gesucht hatte. Zielstrebig lief sie auf die kleine Nische zu, die in die Wand gehauen worden war. In ihr hockte ein Käfer von der Größe einer Männerfaust. Er hatte sechs spindeldürre Beinchen, und seine eng am Körper anliegenden Flügel wiesen ein auffälliges gelb-schwarzes Gnorkelschachbrettmuster auf.
„Was ist das denn?“, wollte Tomrin leise wissen.
„Ein Folomi-Käfer“, antwortete Hanissa. „Die Xix halten sie sich überall, damit sie Besuchern den Weg durch das Labyrinth des Baus zeigen. Folomis sind nicht besonders schlau, aber ihr Ziel finden sie immer.“ Behutsam hob das Mädchen den kleinen Käfer hoch und hielt ihn sich vor das Gesicht.
Der Folomi blickte sie aus großen schwarzen Augen erwartungsvoll an. Im Gegensatz zu den Xix wirkte er vollkommen entspannt. Das Fehlen der Königlichen Aura schien ihn nicht im Mindesten zu stören.
„Wir wollen zu den Gemächern der Königinlarve“, erklärte Hanissa ihm. „Bitte bring uns dorthin.“
Der Folomi starrte sie noch zwei Herzschläge lang stumm an, dann drehte er sich auf ihrer Handfläche um und erhob sich brummend in die Luft. Seine flirrenden Flügel erzeugten ein gelb-schwarzes Flackern vor ihren Gesichtern, das an zwei winzige, blitzende Signallaternen erinnerte. Gleich darauf schwebte er in gemächlicher Geschwindigkeit den Gang hinunter.
„Darf der uns denn einfach so zu den Gemächern der Königinlarve führen?“, wunderte Tomrin sich, während die beiden Freunde ihm nachliefen.
„Darüber macht der sich keine Gedanken“, sagte Hanissa. „Ein Straßenschild kümmert es ja auch nicht, wohin es weist. Die einzige Aufgabe des Folomi-Käfers ist es, Suchende ans Ziel zu bringen. Wenn dieses Ziel ein verbotener Ort ist – von denen es ohnehin kaum welche im ganzen Bau gibt – , liegt es an den Xix, dafür zu sorgen, dass dort niemand eindringt.“
„Sehr praktisch“, fand Tomrin.
Während der Folomi völlig arglos durch die Gänge des Baus summte, folgten Hanissa und Tomrin ihm verstohlen, immer aufmerksam nach links und rechts und über die Schulter schauend, ob in irgendeiner Ecke vielleicht ein blindwütiger Xix hockte. Vor ihnen wurde das
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