DrachenHatz
zwei ältere Semester ignorierend, die uns aus sicherem Abstand von bestimmt zehn Metern ungeniert besichtigten, als seien wir die Hauptattraktion in einem neuen Aquarium. »So richtig Publikum hast du ja nicht gerade«, fing ich behutsam mit der Konversation an.
»Och, das kommt schon noch«, gab sich Marga zuversichtlich. »Ich bleibe ja den ganzen Tag hier stehen, denn heute findet kein Trödel- oder Wochenmarkt statt. Und Kinderfest ist auch nicht, dann wimmelt das hier nur so von Leuten.«
Das wäre aber doch gar nicht verkehrt, dachte ich im Stillen. So kam sie höchstens mit ein oder zwei Menschen ins Gespräch. Na gut, im besten Fall würden es vielleicht sogar vier sein, die sie über den Zusammenhang von mopsfidelen Quallen und Tankerhavarien aufklären konnte.
Sie grinste, als sie mein ratloses Gesicht sah. »Alles Taktik, Schätzelchen. So gewöhnen sich die Wenigen an mich, und wir kommen leichter ins Gespräch. Wenn sich die Massen durchschieben, geht nämlich nach meiner Erfahrung überhaupt nichts.«
Na denn, wenn sie meinte. Sie hatte schließlich die Protesterfahrung, ich war da immer noch Novizin. Brav beäugte ich jetzt das Plakat. Es hatte keinen Sinn, unmittelbar mit der Tür ins Haus zu fallen. Marga war da ziemlich eigen, das wusste ich. Also machte ich ihr die Freude und stellte kopfschüttelnd fest, dass ich keine Ahnung hätte, was der aktuelle Spruch, an dem sie wie stets liebevoll herumgebastelt hatte, bedeuten sollte. »Ohne Blasenschleier keine Bombenfeier« lautete er heute. Sie hatte ihn mit Sorgfalt in ihrer großen Schrift auf ein fünfzig mal fünfzig Zentimeter großes Stück Pappe gemalt. Und amüsierte sich königlich, während sie mich beobachtete. »Ts, ts, ts«, machte sie fröhlich. »Liest du denn überhaupt keine Zeitung?«
Doch, eigentlich schon. Und manchmal sogar recht gründlich von hinten nach vorn und von vorn nach hinten. Aber anscheinend hatte ich da etwas ganz entschieden übersehen, denn bei mir klingelte weder etwas bei dem Wort »Bombenfeier« noch bei dem mysteriösen Begriff »Blasenschleier«. Ich fand lediglich, dass er fast ein bisschen unanständig klang, behielt dies jedoch für mich, weil in diesem Moment ein Mann entschlossen direkt auf uns zuschritt. Er besah sich das Plakat, nickte, besah sich Marga und pikste plötzlich mit dem Zeigefinger in ihre Richtung, womit man sich bekanntlich als schlechter Kinderstübler outet.
»Ich finde das toll, was Sie da machen«, tönte er sodann laut und vernehmlich über den Platz, »das wollte ich Ihnen schon immer mal sagen.«
»Danke«, erwiderte Marga würdevoll, aber sichtlich erfreut.
»Und in Sachen Kolberger Heide bin ich voll und ganz Ihrer Meinung«, fuhr ihr Bewunderer ernst fort.
Kolberger Heide? Gaanz langsam begann es in meinem Hirn zu dämmern. Davon hatte ich in der Tat schon einmal gehört. So hieß das Seegebiet vor Kiel-Heidkate, in dem die Briten damals nach dem Krieg haufenweise Munition im Wasser versenkt hatten. Auf Nimmerwiedersehen, wie sie dachten. Und jetzt rotteten die Sprengkörper und Torpedosprengköpfe munter vor sich hin und entsorgten irgendwann todsicher ihren giftigen Inhalt in die Ostsee. Was sowohl dieser als auch den Touristen nicht allzu gut bekommen dürfte, denn das Areal liegt nicht sehr weit vom Badestrand entfernt.
Ich war dermaßen mit meinen Überlegungen beschäftigt, dass mir doch um Haaresbreite Margas sensationelle Antwort entgangen wäre. Sie sah dem Endsechziger nämlich fest in die Augen und meinte lakonisch: »Dann bleiben Sie doch zur Unterstützung hier, wenn Sie etwas Zeit erübrigen können. Gemeinsam geht’s immer besser.«
Und Wunder über Wunder, er zögerte lediglich kurz – und tat es tatsächlich. »Theo Keller«, stellte er sich mit einer kleinen Verbeugung vor.
»Marga Schölljahn.«
»Hanna Hemlokk.«
»Angenehm, die Damen«, grinste Herr Keller und zupfte ein wenig unsicher an seinem akkurat geschnittenen weißen Vollbart herum. Dies war seine einzig sichtbare Haarpracht, denn oben herum ähnelte er eher einem Ball mit Kranz. Dafür besaß der Mann ungemein seelenvolle Augen. Und das zählte allemal mehr als so ein paar läppische Zotteln.
Tja, und da standen wir nun, und ich überlegte noch krampfhaft, wie ich unter diesen Umständen mein Anliegen an die Frau bringen sollte, da kam Marga mir auch schon zuvor. »Theo«, sagte sie sehr bestimmt zu ihrem neuen Mitstreiter, »hol uns doch mal drei Pott Kaffee. Als Azubi darf ich
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