DrachenHatz
ich ignorierte seinen Missmut.
Harry war zu Hause und steckte auch nicht bis zum Hals in Arbeit. Ich schilderte ihm die Lage und bat ihn, sich doch bitte sofort und umgehend auf den Weg zu Plattmann zu machen und das Gelände um den Holzunterstand weiträumig nach Spuren wie etwa Lackresten an Zäunen, Findlingen oder Ähnlichem zu durchkämmen. Er maulte zunächst, es war ja auch nicht gerade eine spannende Aufgabe. Doch ich ließ nicht locker und erinnerte ihn an Sylt, wo ich, gute alte Freundin, die ich war, ihm schließlich ebenfalls einen Gefallen getan hatte. Na gut, knurrte er daraufhin. Und ob die blöden Reste denn jedenfalls eine Farbe hätten. Ich kniff die Augen zusammen, während ich überlegte. Blau vermutlich, legte ich mich dann nur halbherzig fest. Aber ganz sicher sei ich nicht. Er solle daher auf jeden Fall –
»– die Augen ganz weit offen halten. Wird gemacht, Boss. Und was ist mit dir? Wo bist du eigentlich?«
»Bei Ribe. Mit Thomas. Wir haben für eine Woche eine Hütte gemietet.«
»Na, dann viel Spaß. Ich melde mich, sobald ich etwas weiß.« Und wumms hatte er den Hörer aufgeknallt. Harryschätzchen gehörte nicht zu den Dauerrednern, die sich nach eineinhalb Stunden immer noch bestätigen, dass sie sich in fünf Minuten in der Eckkneipe treffen wollen.
Ich stieg wieder ins Auto, wo Thomas demonstrativ mit der Rechten auf dem Lenkrad herumtrommelte. Ich hasse das. »Tut mir leid«, sagte ich schnell. »Kommt nicht wieder vor. Aber es wäre wirklich zu dumm gewesen, wenn sich die Spuren verlieren würden.«
»Ihr habt ein sehr freundschaftliches Verhältnis, du und der Gierke, nicht?«
»Ach, ich weiß nicht«, wehrte ich ab und deutete erleichtert auf einen danebrogumkränzten Pølserwagen. Wenig später standen wir breitbeinig am Straßenrand, den Oberkörper vorgebeugt, Röstzwiebeln, Mayo, Ketchup, Gurken, rotstichiges Würstchen samt Pappummantelung fest im Blick, damit nicht allzu viel auf dem Boden landete.
Danach ging es uns richtig gut; wir verdrückten uns kurz hinter die Bude, weil Thomas dringend einen Blick in mein grün-blaues Augenpaar zu werfen gedachte, und dabei fiel mir ein, dass Harry, wenn er denn schon wegen des Lacks nach Bokau gondelte, doch noch kurz bei Marga und Greta hereinschauen könnte. Sicherheitshalber. Also rief ich ihn noch einmal an. Er war schon unterwegs, was für ihn und unsere Freundschaft sprach. Ich erklärte ihm mein zweites Anliegen, was er sich schweigend anhörte, um sich anschließend knurrig bereit zu erklären, auch einmal im Haupthaus vorbeizugucken. »Ich gebe dir dann Bescheid, Hemlokk. Ist’s denn nett mit ihm?«
»Wiedersehen, Harry«, flötete ich. Nett ist, wie schon erwähnt, ein Wort, das ich nicht ausstehen kann. Es ist so seicht, so oberflächlich und aussagenlos. Harry wusste das ganz genau.
Thomas, der schweigend neben mir gestanden hatte, war jetzt wirklich sauer, ich sah es ihm an. Und seine nächsten Worte bestätigten meinen Verdacht. »Für solche Sachen ist die Polizei da, Hanna. Die wird sich kümmern, wenn es nötig sein sollte. Du musst nicht alle naslang den Gierke anrufen. Und er dich ebenfalls nicht.«
»Aber sie haben bestimmt zu wenig Leute, Thomas, und natürlich auch kein besonderes Interesse an Greta«, beharrte ich.
Er ergriff meine Hände. »Komm, vergiss das alles doch endlich einmal. Wir sind hier, allein zu zweit, Hanna. Hast du Lust auf Ribe?«
Normalerweise mag ich das idyllische Städtchen. Heute nicht. »Och nö, lass uns schleunigst weiterfahren, ja? Mir ist viel mehr nach endloser Nordsee, kilometerlangen Stränden und Dünen, so weit das Auge reicht, als nach einem mittelalterlichen Dom, ob imposant oder nicht.«
»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madam.«
Wir rollten eine ganze Weile schweigend dahin, vertraut schweigend sollte ich dazu sagen. Ich genoss das Gefühl, mit einem Mann an meiner Seite in den Urlaub zu fahren. Und Thomas schien etwas Ähnliches zu empfinden, denn wenn sich unsere Blicke trafen, lag eine Menge Zärtlichkeit darin.
Damit war es jedoch schlagartig vorbei, als mein Handy anfing zu klingeln. Ich lächelte Thomas entschuldigend zu. Er starrte demonstrativ geradeaus.
»Ja?«
»Marga und dieser Greta geht es gut«, drang Harrys unwillige Stimme an mein Ohr.
»Schön. Und der Lack …«
»Da war ich noch nicht.«
Aha.
»Das wollte ich nur schon mal berichten, weil du dir doch Sorgen zu machen scheinst.«
Noch mal aha. Aber keinesfalls solche Sorgen, liebster
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