Drachenläufer
frisiert war, glitzerte im Sonnenlicht - an manchen Stellen, wo ihr Haar dünn geworden war, schimmerte die Kopfhaut durch. Sie hatte kleine grüne Augen, die in einem kohlrunden Gesicht verborgen lagen, überkronte Zähne und kleine Wurstfinger. Ein goldener Allah ruhte auf ihrer Brust, die Kette lag in den Hautfalten ihres Halses verborgen. »Ich bin Jamila, Soraya jans Mutter.«
»Salaam, khala jan«, sagte ich verlegen - wie so oft, wenn ich mit Afghanen zu tun hatte -, weil sie mich kannte und ich keine Ahnung gehabt hatte, wer sie war.
»Wie geht es Ihrem Vater?«, sagte sie.
»Gut, vielen Dank.«
»Sie haben doch bestimmt schon viel von Ihrem Großvater, Ghazi Sahib, gehört? Dem Richter. Sein Onkel und mein Großvater waren Cousins«, sagte sie. »Wir sind also eigentlich verwandt.« Sie schenkte mir ein Zahnkronenlächeln, und ich bemerkte, dass die rechte Seite ihres Mundes ein wenig herabhing. Ihre Augen wanderten wieder zwischen Soraya und mir hin und her.
Ich hatte Baba einmal gefragt, warum General Taheris Tochter noch nicht verheiratet war. Keine Freier, hatte Baba gesagt. Keine angemessenen Freier, hatte er hinzugefügt. Aber mehr wollte er nicht sagen - Baba wusste, wie verheerend sich leeres Geschwätz auf die Heiratsaussichten einer jungen Frau auswirken konnte. Afghanische Männer, besonders solche aus angesehenen Familien, waren wankelmütige Wesen. Ein Flüstern hier, eine Anspielung dort, und sie stoben davon wie aufgeschreckte Vögel. Und so hatte eine Hochzeitsfeier nach der anderen stattgefunden, und niemand hatte ahesta boro für Soraya gesungen, niemand hatte ihre Handflächen mit Henna bemalt, niemand hatte einen Koran über ihren Kopfschmuck gehalten, und es war General Taheri zugefallen, bei jeder Hochzeitsfeier mit ihr zu tanzen.
Und jetzt war da diese Frau, diese Mutter, mit ihrem herzzerreißend erwartungsvollen schiefen Lächeln und der kaum versteckten Hoffnung in den Augen. Ich zuckte ein wenig zusammen angesichts der machtvollen Position, die mir gewährt worden war, und das nur, weil ich in der genetischen Lotterie gewonnen hatte, die mein Geschlecht bestimmte.
Ich vermochte nie in den Augen des Generals zu lesen, aber über seine Frau wusste ich eins ganz gewiss: Sollte ich einen Widersacher bei dieser Angelegenheit haben - welcher Natur auch immer »diese Angelegenheit« sein mochte -, so wäre es ganz bestimmt nicht sie.
»Setzen Sie sich, Amir jan«, forderte sie mich auf. »Soraya, bachem, hol ihm einen Stuhl. Und wasche einen der Pfirsiche. Sie sind süß und frisch.«
»Nein, vielen Dank«, sagte ich. »Ich sollte mich auf den Weg machen. Mein Vater wartet.«
»Ach ja? Wie schade«, sagte Khanum Taheri, offensichtlich beeindruckt, dass ich mich für die höfliche Variante entschieden und das Angebot abgelehnt hatte. »Dann nehmen Sie zumindest das hier.« Sie warf eine Hand voll Kiwis und einige Pfirsiche in eine Papiertüte und bestand darauf, dass ich sie nahm. »Richten Sie Ihrem Vater viele Grüße von mir aus. Und kommen Sie bald wieder einmal vorbei.«
»Das werde ich. Vielen Dank, Khala jan«, sagte ich. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, dass Soraya zur Seite blickte.
»Ich dachte, du wolltest uns zwei Colas holen«, sagte Baba und nahm mir die Tüte mit dem Obst aus der Hand. Er bedachte mich mit einem Blick, der ernst und schelmisch zugleich war. Ich wollte gerade etwas erfinden, aber er biss in einen Pfirsich und winkte abwehrend mit der Hand. »Schon gut, Amir. Vergiss aber nicht, was ich dir gesagt habe.«
In jener Nacht dachte ich im Bett daran, wie das gesprenkelte Sonnenlicht in Sorayas Augen getanzt hatte, und an die zarten Vertiefungen über ihrem Schlüsselbein. Ich ging unsere Unterhaltung in meinem Kopf immer wieder durch. Hatte sie gesagt: Wie ich hörte, schreiben Sie selbst oder: Wie ich hörte, sind Sie Schri ft steller? Ich war mir nicht sicher. Ich wälzte mich im Bett herum und starrte zur Decke hinauf - wie sollte ich nur die kommenden sechs schweren, endlosen yelda-Nä chte überstehen, bis ich sie endlich wiedersah?
So ging es einige Wochen weiter. Ich wartete, bis sich der General zu einem Spaziergang aufmachte, und schritt dann am Stand der Taheris vorbei. Wenn Khanum Taheri da war, bot sie mir Tee und ein kolcha an, und wir unterhielten uns über das Kabul der Vergangenheit, über Menschen, die wir kannten, über ihre Arthritis. Sie hatte zweifellos bemerkt, dass mein Auftauchen immer mit der Abwesenheit ihres Mannes
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