Drachenlanze - Die Erben der Stimme
Ferne zusammengebraut, Kraft gesammelt, die
Wolken höher aufgetürmt und an Dunkelheit zugenommen.
Über Nacht hatte er sich nach Osten in Bewegung gesetzt und
bedrohte das Land wie eine gewaltige, finstere Wand. In den
Wolken zuckten Blitze, und Tanis konnte schon das leise
Grollen des Donners in der aufgeladenen Luft wahrnehmen.
Da kam der Trompetenstoß, und Lord Tyresian winkte die
Jäger auf die Brücke. Mit einem Schrei der Begeisterung
trieben die Elfen ihre Pferde zu dritt nebeneinander auf die
Brücke, und Tanis fiel unwillkürlich mit ein. Der Schrei löste
sich einfach aus seiner Kehle, und er war so alt wie die Welt
selbst, so alt wie Leben und Tod.
»Reorx rette mich«, sagte Flint leise zu sich selbst, als
Windsbraut, Belthar und Gilthanas’ Stute sich der Brücke
näherten. »Wenigstens bin ich in der Mitte. Junge«, dabei
drehte er sich plötzlich zu dem Halbelfen um, »du sagst mir
aber, wenn ich gleich über den Rand kippe, ja?« Als Tanis
nickte, senkte der Zwerg sein Gesicht. Gerade bevor seine
Haare nach vorn fielen, um das Gesicht zu verbergen, sah
Tanis noch, wie Flint die Augen zukniff.
»Was ist mit ihm?« fragte Gilthanas in scharfem Ton.
»Ist er krank?«
Tanis schüttelte den Kopf. »Ein kurzes Gebet. Ein religiöser
Brauch bei den Zwergen.« Er sah ein Lächeln über Flints
kantige Züge huschen. Nach einiger Zeit folgte dem Lächeln
ein hörbarer Seufzer der Erleichterung, als die Hufe der Pferde
nicht mehr auf Holz, sondern auf die festgetretenen Steine an
der Westseite der Schlucht traten.
Im grünen Wald war die Luft vom frischen Duft der Pinien
und Pilze erfüllt, ein fast heilsamer Geruch, der Tanis’ Kopf
klärte und seine Stimmung hob. Der Halbelf hörte jedes
Rascheln der kleinen Waldtiere im Unterholz, sah deutlich den
Umriß jedes Blatts vor dem Himmel über sich. Die Elfen
trieben ihre Reittiere auf verschlungenen Wildpfaden immer
tiefer in den Wald, und Baum auf Baum blieb hinter ihnen
zurück.
Der Morgen blieb kühl. Gelegentlich nieselte es, während
die Sturmwolken von Westen heranzogen. Fährtensucher der
Palastwache ritten vor der Freiwilligenschar her, jedoch ohne
Erfolg. Die einzigen Tiere, die die Jäger erblickten, waren
Eichhörnchen, Streifenhörnchen und ein Waldmurmeltier, das
vom Winterschlaf noch ganz abgemagert war. Die Hörnchen
schossen sofort davon. Das Murmeltier spähte auf einem
kleinen Hügel über einen Baumstumpf und ließ die Jäger
vorbeiziehen.
Der Pfad war gerade breit genug für zwei Reiter
nebeneinander. Stellenweise reichte das dichte Unterholz fast
bis auf den Pfad. »Das gefällt mir nicht«, sagte Tanis zu Flint,
der ihm zustimmte. Immer wieder glitt die Hand des Halbelfen
zu seinem Schwert und strich liebevoll über die verbundenen
Buchstaben »E« und »K« auf der Glocke.
Die Unterhaltungen der Jäger waren längst abgebrochen. Die
einzigen Geräusche waren das gelegentliche Zetern der Vögel,
das Knirschen der Ledersättel und das Schniefen eines
allergischen Zwergs. Einmal nieste Flint, woraufhin Xenoth
sich im Sattel umdrehte und »Psst!« zischte.
»Kann ich etwa was dafür?« gab Flint so leise zurück, daß es
nur Tanis hören konnte.
Schließlich hob Tyresian einen Arm in die Höhe, und alle
machten halt. Einer der Fährtenleser stand neben dem Pferd des
Elfenlords. Seine eine Hand lag auf dem glänzenden Hals von
Tyresians Hengst, die andere zeigte nach vorne. Die Nachricht
wurde von einem zum anderen nach hinten durchgegeben.
»Sie haben die erste Spur gefunden!« flüsterte Gilthanas
Tanis und Flint zu. Der Zwerg packte die Zügel so fest, daß
seine Knöchel weiß wurden.
»Was denn?« fragte Tanis.
Die Antwort wanderte durch die Reihe wie beim Kinderspiel
»Weitersagen«: Nur wenige Stunden alte Spuren mit fünf
Zehen im feuchten Boden, vier Zehen zeigten nach vorn, eine
nach hinten. Das Tier war eindeutig auf Nahrungssuche.
»Und schon sind wir da«, bemerkte Flint griesgrämig,
während er sich nach allen Seiten umsah und seine Streitaxt
wie einen Talisman festhielt. »Mittagessen.«
»Werden wir den Tylor nicht kommen hören?« fragte Tanis.
»Nicht unbedingt«, antwortete Flint. »Er liegt vielleicht auf der
Lauer.«
Die Freiwilligen ritten jetzt mit ernsten Gesichtern einzeln
hintereinander. So würde das Monster weniger Jäger
erwischen, wenn es plötzlich aus dem Unterholz brach. Sie
ritten zügig weiter, aber jeder Mann hielt eine Waffe bereit.
Die meisten Elfen hatten Kurzschwerter.
Die Mittagszeit verstrich,
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