Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
verstand seine Arbeit, und alle noch verbliebenen Neugierigen erkannten augenblicklich, dass es besser wäre, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
Das Frühstück, das im Wartesaal für Magier aufgetragen wurde, erwies sich als ausgezeichnet. Es gab geschmorten Hasen in Weinsauce, Kartoffelkroketten, Krevetten mit gehackten Eiern und gebackenen Karpfen mit Sauerkraut. Bescheiden, aber überaus schmackhaft.
»Er sitzt im ersten Wagen«, sagte Ritor leise, nachdem alle ihre Mahlzeit beendet hatten und er einen schalldichten Wall um den Saal errichtet hatte. »Kevin und Erik, eure Aufgabe ist es, ihn aufzuschrecken. Sorgt dafür, dass er sich rausbeugt. Mehr müsst ihr nicht tun. Dann geht ihr schleunigst aus dem Weg und haltet Ausschau nach den Leuten
vom Wasser. Wenn ihr welche bemerkt, schlagt als Erste zu und ohne Mitleid. Den Hauptschlag führen ich, Sandra und Asmund aus. Wenn wir aus irgendeinem Grund versagen, müsst ihr alles daransetzen, diesen Kerl umzulegen. Selbst wenn wir alle dabei sterben.«
»Wir haben verstanden, Ritor«, sagte Kevin beherrscht. Wie immer hatte er sich vor dem Kampf in seine Farben gekleidet, in Schwarz und Silber. »Unsere Leute versagen nicht.«
Erik nickte zustimmend.
»Aber warum, ehrwürdiger Ritor, können Kevin und ich die Operation nicht alleine ausführen? Hier handelt es sich doch nicht um die Olympischen Spiele. Wir kommen von zwei Seiten und …«
»Natürlich kommt ihr von zwei Seiten«, antwortete Ritor ruhig. »Aber, Jungs, wir haben es mit dem Drachentöter zu tun. Er hat schon eine vollständige Weihe erlangt. Glaubt mir, ich weiß, wozu er fähig ist. Ich bin nicht Torn. Und ich werde meine Leute nicht in den Tod schicken. Was ist?«
Eriks Junge »zur Hand« strich schweigend über seinen linken Ärmel. Ritor verspürte augenblicklich die Spannung, die von einer geladenen Waffe ausging.
»Denk nicht einmal daran«, sagte er streng. »Er würde es fühlen. Und du wirst es wahrscheinlich nicht mal merken. Also bitte keine Alleingänge, sondern den Burschen nur aufschrecken. Es ist wichtig, dass er aus dem Waggon herauskommt.«
»Vielleicht sollte ich?«, ertönte Sandras Stimme. »Ehe er den Jungs zusetzt …«
Kevin und Erik streckten beleidigt ihr Kinn in die Höhe, und mit sekundenlanger Verzögerung imitierten auch ihre Jungen »zur Hand« diese Bewegung.
»Nein, nein.« Ritor schüttelte verärgert den Kopf. »Das lohnt nicht, Sandra. Loj Iwers Lorbeeren wird dir das ohnehin nicht einbringen. Die Kraft des Drachentöters liegt im Zorn. Aber er ist bislang noch nicht in der Lage, sie zu kontrollieren. Wir müssen so vorgehen …«
Die Sonne stieg höher am Himmel. Züge trafen ein und fuhren ab, auf den Bahnsteigen brodelte die Menge. Ein buntes Völkchen. Händlerinnen und Händler hatten aufgehört, Kevin und Erik zu beachten; deren Jungs waren ohnehin nicht zu sehen.
Der Weiße Adler glitt schwerfällig in den Bahnhof. Trotz seines imposanten Namens gehörte er zu den eher unbedeutenden Zügen, die an jeder noch so kleinen Station hielten. Klapprige Waggons, uralte, dampfende Zylinder, kaputte Trittbretter – selbst die Gnome hatten nicht für alles Geld.
Erschöpft schnaubend hielt die Lokomotive an, und Ritor atmete vor Erleichterung tief aus, denn ihr Ziel war noch immer an Ort und Stelle.
Erik und Kevin bewegten sich ohne Eile auf die hölzernen Türen des ersten Waggons zu, die sich gerade öffneten. Das Volk wich vor ihnen zurück und gab den Weg frei. Hinter den Älteren schlüpften die beiden Jungen »zur Hand« in den Wagen.
Jetzt hieß es nur noch warten.
Ritor warf einen kurzen Blick auf den blassen Asmund und auf Sandra, die sich auf die Lippen biss. Sie hielten jetzt die ungeheuerliche Macht des Windes an der Leine, verdichtet zu einem langen dünnen Speer, der sich bis zum Horizont zog. Dieser Speer würde nicht nur die Brust des Feindes durchstoßen, nicht nur sein Herz herausreißen und sein Inneres nach außen kehren, dieser Speer würde das
Wesen des Drachentöters in Tausende von Stücken zerfetzen, so dass er für lange Zeit nicht mehr in der Lage wäre, in die Mittelwelt zurückzukehren.
Eine Weile lang war alles still. Ritor wusste, dass Erik und Kevin sich im Moment mit möglichst dreisten Mienen durch den mit Bündeln vollgestellten, schmalen Gang drängten, mit Fußtritten und Schubsern alles zur Seite beförderten, was ihnen vor die Füße kam, und dabei laut schrien: »Kontrolle! Allgemeine Kontrolle!
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