Drachenritter 04 - Der Drache im Krieg
ich komme, gab es in der mathematischen Fakultät Leute, die buchstäblich in Mathematik denken konnten ...«
»Mathematik?« Carolinus starrte ihn an.
»Na ja, das ist eine Art fortgeschrittener Arithmetik«, erklärte Jim. »Ihr müßt wissen...«
»Nein, nein!« rief Carolinus. Seine Stimme hatte plötzlich diesen ungewöhnlich mürrischen, beinahe ärgerlichen Beiklang, der zum ersten Mal nach seiner Krankheit hörbar geworden war. »Versucht nicht, es mir zu erklären. Ich habe ohnehin schon zu vieles im Kopf, ohne mein Gehirn mit Dingen vollzustopfen, die ich ohnehin niemals benutzen werde. Wenn Ihr mich verstanden habt, dann ist das die Hauptsache. Denkt magisch. Wissen und Einfallsreichtum. Prügelt Euch diese Dinge ins Hirn, dann könnt Ihr auf einem Gebiet, das Ihr zu erforschen beginnt, alles tun, was Ihr wollt - natürlich erst, nachdem Ihr ein gewisses Maß an Kenntnissen und Erfahrung angesammelt habt. Allerdings bezweifle ich, daß Euch das jemals gelingen wird.«
»Da habt Ihr wahrscheinlich recht«, sagte Jim sehnsüchtig.
»Nun, was stehen wir eigentlich noch hier rum?« fragte Carolinus. Das Amphitheater um sie herum war leer bis auf eine Handvoll Gestalten, die in genau dem Augenblick verschwanden, in dem Carolinus sprach. Sie verschwanden auf alle möglichen Arten. Einige erloschen, andere verblaßten, wieder andere wurden für eine Weile durchsichtig, bevor sie sich dann plötzlich auflösten.
»Genau das sage ich doch!« sagte Jim. »Gehen wir. Ich saß neben einem Magier namens Lahti...«
»Ach ja, dem jungen Finnen«, sagte Carolinus.
»... und er konnte Dafydd und Brian für eine halbe Stunde aus der Zeit nehmen. Aber die Zeit wird abgelaufen sein, bevor Ihr...«
Jim sollte seinen Satz nie beenden, aus dem sehr einfachen Grund, weil sie sich nicht länger im Amphitheater befanden. Sie standen jetzt auf dem Wehrgang hinter dem oberen Teil der Ringmauer, die die Burg Malencontri umgab, unmittelbar hinter dem Graben. Jener Mauer, die das erste Bollwerk ihrer Verteidigung gegen die Seeschlangen sein würde, falls diese denn kamen.
28
W AHRSCHEINLICH LAG ES daran, daß er kurz hintereinander zweimal durch Magie den Ort gewechselt hatte, jedesmal an einen fernen Bestimmungsort. Jedenfalls war Jim bei seiner Ankunft auf Malencontri einen Augenblick lang verwirrt, sich wieder zu Hause zu befinden. Er brauchte einige Sekunden, um sich an seine vertraute, aber veränderte Umgebung zu gewöhnen.
In diesem Falle wurde die Verwirrung noch verschlimmert, weil sich mit ihm auf den Zinnen zwei Menschen befanden, von denen er zumindest einen dort nicht erwartet hatte.
Eine Person, die dort vorzufinden ihn nicht in Erstaunen setzte, war Angie; und im Augenblick war er so froh, sie zu sehen, daß er sie, wäre sie nicht um mehr als Armeslänge von ihm entfernt gewesen, augenblicklich an sich gezogen hätte, und das, obwohl sie wahrscheinlich aufgeschrien und sich dagegen gewehrt hätte, plötzlich von jemandem gepackt zu werden, der sich an einer Stelle befand, wo er zuvor nicht gewesen war.
Aber wie es das Glück wollte, war sie weiter von ihm entfernt, vielleicht zwanzig Fuß. Zwischen ihr und ihm befand sich der unerwartete Besucher auf den Zinnen. Es war Sir John Chandos, und er war in ein angeregtes Gespräch mit Angie verstrickt.
In der Tat sprach er sogar noch einige Augenblicke weiter, bevor es ihm aufging, daß Angie wie gebannt an seiner Schulter vorbeiblickte. Ihr Benehmen veranlaßte Chandos jedoch schließlich, sich umzusehen, Jim und Carolinus zu erblicken und abrupt abzubrechen.
Was Jim ihn noch hatte sagen hören, war folgendes:
»...In ganz Südengland sind Truppen ausgehoben worden. Diese werden sich schnell sammeln; aber es ist trotzdem eine Angelegenheit von mindestens einer Woche, daraus eine Armee zu machen. Glücklicherweise haben wir noch ein oder zwei Wochen, bevor König Jean von Frankreich seine Invasion über den Ärmelkanal unternehmen wird...«
Das war die Stelle, an der Angie sich eilig von ihm entfernte.
»Nicht zwei Wochen. Fünf Tage, Sir John...«, begann Jim, dann lag Angie in seinen Armen. Nach einigen langen Sekunden war er, ohne sie loszulassen, wieder in der Lage, über ihre Schulter hinweg das Wort an Carolinus zu richten.
»Carolinus!« sagte er. »Dafydd und Brian! Erinnert Ihr Euch? Sie sind beide schwer verwundet und liegen wahrscheinlich im Sterben auf einem Schiff im englischen Kanal. Ich wußte nicht, wie ich sie auf magischem Wege
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