Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
entfernt. Er wirkte wie der Schein einer Fackel in der Ferne, der sich durch den Nebel kämpfte.
»Komm, schauen wir mal nach«, schlug Lidja vor.
So schnell es ging, bewegten sie sich auf das Licht zu, aber es war wie in einem Albtraum, in dem man läuft und läuft und doch nicht von der Stelle kommt. Nichts glitt an ihnen vorbei. Sie konnten nicht sagen, ob sie überhaupt vorwärtskamen. Ihre Schritte machten keine Geräusche.
»Das kann nicht echt sein«, stöhnte Sofia irgendwann.
»Jedenfalls ist das nicht die Wirklichkeit, in der wir uns tagtäglich bewegen«, erklärte die Freundin.
Sofia schaute sie fragend an.
»Dieser Obelisk muss eine Art Eingangstor zu einer anderen Dimension sein, oder, wenn du so willst, zu einer anderen Welt«, fuhr Lidja fort. »Und wir sind mittendrin gelandet. Deshalb konnten wir den Nussbaum nicht finden: Weil er eigentlich nicht in Benevent steht, sondern in einem parallelen Universum.«
Sofia überlegte, dass dadurch vieles klar wurde, und doch das mulmige Gefühl, das ihr so zusetzte, blieb.
Der Lichtschein allerdings veränderte sich, je länger sie sich darauf zu bewegten. Zunächst wurde er klarer, dann löste sich der Nebel auf und ein unwirtlicher Ort wurde sichtbar.
Aus dem milchigen Nichts tauchte plötzlich eine freie Fläche auf. Der Boden war ausgetrocknet und rissig. Zwischen Steinen und verdorrtem Gestrüpp standen vereinzelt einige etwas größere Büsche. Und inmitten dieser trostlosen Landschaft lag der Stamm eines gefällten Baumes, der früher einmal riesengroß gewesen sein musste. Jetzt waren nur noch die Rinde und etwas abgestorbenes Holz von ihm übrig, während das Innere wie von Würmern zerfressen aussah. Doch obwohl er wie das Sinnbild des Todes vor ihnen lag, nahmen Sofia und Lidja seine ganze verborgene Kraft wahr. Sie spürten, wie unter der aufgesprungenen Erde die Energie schwach durch die verdorrten Wurzeln rann, wie sie sanft im Rhythmus ihrer Herzen pulsierte. Und längs seiner begrabenen und vergessenen Adern brach immer wieder das Leben durch. Hier ein einzelner Grashalm, dort ein kleiner frischer Trieb, ein Stück weiter eine kümmerliche Blüte. Die Mädchen hatten keinerlei Zweifel, denn ihre Herzen sagten ihnen: Dort war die Frucht.
Plötzlich ergriff Lidja Sofias Arm. »Sieh doch! Da sind sie.«
Ratatoskr und Fabio hatten rund um den Baum schwarze Kerzen aufgestellt, die ein unheimliches Licht abgaben, so wie der Blitz, der den Professor getroffen hatte.
Ratatoskr hatte die Augen geschlossen und sprach eine mysteriöse Litanei, die mit abscheulich klingenden Worten und Lauten durchsetzt war. Fabio stand neben ihm und hielt etwas in der Hand: Ein Fläschchen mit einer dunklen Flüssigkeit.
»Hört auf!«, schrie Sofia.
Ratatoskr und Fabio fuhren herum.
Der Ältere fletschte die Zähne und ließ aus seinen Händen schwarze Blitze hervorschießen.
Es war Lidja, die Sofia rettete. Mit ihren Geisteskräften hob sie einen Felsbrocken an, der die Freundin wie ein Schild schützte. Als die Blitze ihn trafen, zersprang der Fels mit lautem Knall, und die Splitter zischten wie Geschosse an Sofias Kopf vorbei.
»Kümmer dich um Fabio«, rief Lidja und stürzte sich auf Ratatoskr.
Mit gesenktem Kopf raste sie los, während die Flügel an ihrer Schulter hervorbrachen. Schwere Erdschollen ließ sie auffliegen und schleuderte sie mit aller Gewalt auf den Feind. Von den Kräften des Mädchens bis in die Wurzeln erschüttert, begannen die wenigen Sträucher um sie herum heftig zu zittern. Doch Ratatoskr schien unbesorgt. Eingehüllt in einen Kokon schwarzer Flammen, die ihn gegen alle Angriffe abschirmten, stand er ruhig da, hatte einen Arm ausgestreckt und schoss seine schwarzen Blitze ab, die nacheinander alle Erdschollen zertrümmerten, mit denen Lidja ihn attackierte.
»Fabio!«, brüllte Sofia, so laut sie konnte.
Das Fläschchen in der Hand, stand Fabio reglos da und schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Sofia rannte auf ihn zu. Sie musste ihn angreifen. Es war das einzig Sinnvolle, was sie tun konnte.
›Zuerst machst du ihn unschädlich, und dann versuchst du, ihn zu überzeugen‹, redete ihr eine innere Stimme zu. Aber sie konnte nicht.
»Stell das Fläschchen hin!«, rief sie mit zitternder Stimme, eine Hand kampfbereit vorgestreckt.
Fabio drehte sich zu ihr um und schaute sie an.
»Stell es hin, was immer da auch drin ist.«
Er lächelte grimmig. »Ich weiß nicht, wer du bist. Aber mit Sicherheit hast du kein
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