Drachenseele (German Edition)
vergessen konnte. Stones brauchte es ja nicht zu erfahren. Er wählte einen knappen Text.
Liebe Nicole,
jeden Tag, jede Nacht bin ich mit meinen Gedanken bei Dir. Was auch immer Du über mich denken magst,
ich vermisse Dich sehr.
Dein Marcus
In der Hoffnung, sie würde vielleicht zurückschreiben, notierte er die Adresse von Stones Haus auf dem Briefkopf.
Nachricht
M arcus öffnete die Zimmertür nach dem Klopfen. Der Hausangestellte James reichte ihm das mobile Telefon.
„Ein Ferngespräch aus Deutschland.“
Nicole! Sie hatte seine Telefonnummer herausgefunden. Für einen Atemzug war ihm nach einem Freudenschrei zu Mute. Marcus meldete sich mit einem fragenden „Ja.“ Sein Herz schlug heftig in seiner Brust.
„Marcus Sonntag“, fragte eine männliche Stimme.
Außer für Nicole gab es keinen Marcus Sonntag. Der war offiziell tot. Wer also zum Teufel wusste von seiner Existenz?
„Wer will das wissen?“
„Ich bin Sven Martens. Nicoles Bruder.“
Ihr Bruder? Marcus überlegte, welchen Grund er haben könnte, hier anzurufen. Vermutlich hatte sie Sven beauftragt ihm die Leviten zu lesen. Sie hasste ihn.
„Ich wollte Nici besuchen, weil sie sich in letzter Zeit so zurückgezogen hatte. Aber sie ist nicht hier und als ich dann deinen Brief in ihrem Nachttisch fand, dachte ich, sie wäre vielleicht bei dir.“
Nici, auf die niedliche Abkürzung war er bisher nicht gekommen. Es klang sehr vertraut. „Nein, hier ist sie nicht. Ich denke, sie hätte bestimmt vorher angerufen.“ Oder sie war auf dem Weg zu ihm?
„Na ja, war auch nur eine Vermutung von mir. Ich hatte den Eindruck, zwischen euch lief mehr, als nur eine nachbarschaftliche Freundschaft.“
„Ich liebe sie“, hörte sich Marcus übereilt antworten, doch im gleichen Moment wurde ihm klar, dass es genauso war.
„Ach so? Dann seid ihr euch diesbezüglich ja einig. Sollte sie bei dir aufkreuzen, kannst du mich bitte anrufen?“
„Klar!“
„Ich gebe dir am besten meine Handynummer.“
„Wie lange ist Nicole schon fort?“ Eine furchtbare Vorstellung, ihr könnte etwas zugestoßen sein und er wäre dann nicht für sie da.
„Ich weiß nicht, ich bin gerade erst angekommen. Meine Eltern sind krank vor Sorge.“
Marcus schrieb sich Svens Handynummer auf. Er überlegte, ob Nicole tatsächlich bereit war, ihm bis hier nach England zu folgen.
Nein! Nicht nach der letzten Begegnung. Was konnte nur geschehen sein? Augenblicklich spürte Marcus eine unstillbare Sehnsucht, die heftige Schmerzen in der Herzgegend hinterließ. Er musste ein oder zwei Tage abwarten, erst dann wollte er eine Entscheidung treffen.
Marcus genoss die Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Der Ausflug heute Nacht im Meer tat ihm unglaublich gut, hatte ihn etwas ablenken können. Das Wasser war so wunderbar klar und kalt. Die Fische schmeckten hier tausendmal besser. Die Umgebung schien ihm vertraut, als wäre er hier geboren. Er scha u te zum endlosen Horizont des Meeres. Wolken schoben sich vor die Sonne, sammelten sich am Himmel. Jemand näherte sich Marcus von hinten.
„Ich hörte, Ihr habt einen Anruf erhalten.“
Marcus reagierte nicht, schließlich kannte er Stones’ Meinung über Nicole.
„Lasst mich raten, Narvalvar. Es war die Veterinärmedizinerin.“
Marcus schloss die Augen. Stones musste doch merken, dass ihm nicht nach Reden zu Mute war.
„Ein Drache sollte sich seinesgleichen suchen. Ein menschlicher Partner bringt Probleme und Schwierigkeiten mit sich.“
Marcus seufzte hörbar. Von Stones erwartete er keine andere Aussage.
Er setzte sich neben Marcus an die Klippen. „Narvalvar! Euch fehlt noch viel Wissen. Ich möchte Euch erzählen, warum Ihr Drachen Euch derartig verändert habt.“ Er holte tief Luft. „Seit Urzeiten leben Drachen auf dieser Erde, später meist friedlich mit den Menschen. Aber dann, weit vor dem Mittelalter begannen die Menschen sich unglaubliche Geschichten über Euch auszudenken. Sie meinten, alle Drachen sollten vernichtet werden. So versuchte man es zuerst bei den Schwächsten, dem Nachwuchs. Zahlreiche unschuldige Drachenkinder fanden damit ein blutiges Ende. Um zu überleben, musstet ihr Dr a chen euch weit in eure Höhlen zurückziehen. Mit jedem Me n schen, den ihr aus Angst verschlungen habt, wünschtet ihr euch, ihre Gestalt anzunehmen. Mit der Zeit verändertet ihr euch wir k lich. Über viele Generationen hinweg gelang es euch, sich so wu n derbar anzupassen. Deshalb seid ihr
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