Drachenwächter - Die Prophezeiung
ihnen.«
»Vielleicht erfahren wir es in diesem anderen Land.«
Mesala schaute zum Horizont. »Talut ... auch er hat Geistesreisen.«
Ungläubig starrte Seld die Frau neben sich an.
Sie redete weiter: »Oft wird er ohne Bewusstsein aufgefunden, als hätte sein Geist seinen Körper verlassen. Und nachts plagen ihn schreckliche Träume.«
»Woher weißt du das?«
Mesala zuckte mit den Schultern. »Eine Bekannte ... sie arbeitet als Bedienstete in dem Palast, und sie hat mir davon erzählt.«
Ihre Stimme klang leise und tonlos in Selds Ohren.
»Ja«, sagte Seld. »Ich habe in seinen Augen gesehen, dass sein Geist auf Reisen war.«
Fünf Tage und Nächte segelten die beiden Schiffe Seite an Seite über das Meer, wobei die Ambria die Richtung vorgab und die Valant ihren Kurs dem anderen Schiff anpasste. Es gab keinen weiteren Kontakt zwischen den beiden Besatzungen.
Das Wetter veränderte sich nur wenig und stellte die seemännischen Künste der beiden Kapitäne und der Matrosen nur auf eine leichte Probe. Selten trübte der Himmel ein, und ein prasselnder Regen ging nieder, zusammen mit Wind, der das Meer aufwühlte, doch nicht lange anhielt. Die Besatzung der Ambria befestigte leere Fässer auf Deck, damit sie das Regenwasser einfingen.
Mesala hatte eine Bitte an Seld, die er gerne erfüllte: Sie wollte Schreiben lernen. Kapitän Wod besaß Federkiel und Tinte, und so konnten Seld und Mesala viele Stunden auf Deck beisammensitzen und üben.
Schon nach diesen wenigen Tagen verringerten sich die Vorräte an Bord der Ambria so schnell, dass Seld und Ark die Rationen verkleinern mussten.
»Selbst bei diesen kleinen Rationen werden wir kaum länger als vier Tage durchhalten«, befürchtete Ark. »Dann haben wir nichts mehr – kein Fleisch, keinen Zwieback und vor allem kein Wasser. Wie lange überleben wir dann? Noch zwei Tage? Oder drei?« Verzweiflung klang in seiner Stimme mit.
Seld erhob sich. »Wir haben keine Wahl. Ich muss auf die Valant.«
Wod signalisierte dem anderen Schiff, dass er übersetzen wollte, und die Segel der Valant wurden eingezogen. Seld und Ark ließen sich wieder von zwei Matrosen hinüberrudern und standen schließlich auf dem Deck der Valant Kapitän Tebis gegenüber.
»Ich muss mit dem Herrscher reden«, sagte Seld.
»Er empfängt niemanden«, antwortete Tebis. »Ich darf für ihn sprechen.«
Seld nickte. Das hatte er erwartet. »Unsere Vorräte gehen zur Neige. Ich bitte darum, dass die Valant ihre Nahrung mit uns teilt.«
Keine Regung zeigte sich in Tebis’ Miene. »Das wird nicht möglich sein. Unsere Vorräte sind für unsere Besatzung und die Soldaten bestimmt.«
Ark trat nach vorne. »Wir haben Frauen und Kinder an Bord. Gebt wenigstens ihnen Wasser.«
Tebis wendete sich ab. »Ihr verlasst nun mein Schiff.«
Seld legte seine Hand auf Arks Schulter, bevor dieser etwas sagen konnte. Ark schaute ihn an, und Seld schüttelte sachte den Kopf.
»Wir segeln unter königlicher Flagge«, sagte Seld.
Tebis hielt inne, wendete sich wieder Seld zu. Kurz fuhr sein Blick zum Hauptmast der Ambria.
»Der Herrscher möchte seine eigenen Untertanen in einer Notlage umkommen lassen? So wie in Klüch?« An die herumstehenden Matrosen und Soldaten gewandt rief Seld: »Und wann seid ihr dran?«
Die Matrosen unterhielten sich tuschelnd, und in Tebis’ Gesicht zeichnete sich Wut ab. »Geht von Bord. Sofort! Sonst lasse ich euch hinunterstoßen!«
Seld deutete eine spöttische Verbeugung an, dann stiegen er und Ark die Strickleiter hinab.
»Es war vergebens«, seufzte Ark, während das Beiboot zur Ambria zurückgerudert wurde.
»Nein, das war es nicht. Ich hatte damit gerechnet, dass wir nichts bekommen. Doch wir konnten Misstrauen unter der Besatzung säen. Wir werden nichts geschenkt bekommen, doch vielleicht können wir es auf anderem Wege beschaffen.«
Wieder auf der Ambria berichtete Seld dem Kapitän, wie Tebis mit ihnen umgegangen war. Wod nickte. Dann schritt er zum Hauptmast und kletterte flink in den Wanten hinauf, bis er im Krähennest ankam. Er löste die Flagge des Herrschers – ein Drache auf rotem Grund – und hielt sie in der rechten Faust in den Himmel gestreckt. »Tebis!«, schallte seine Stimme über das Meer.
Seld konnte den Kapitän der Valant beim Steuermann erkennen, wie er seinen Blick zu dem Rufer auf der Spitze der Ambria richtete.
»Wir segeln nie mehr unter dieser Flagge!«, brüllte Wod und schleuderte mit einer weit ausholenden Bewegung die Flagge
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