Dragons Schwur
dass sie schützend die Hand vor die Augen legen musste. Während sie in das grelle Licht blinzelte, teilte es sich in der Mitte und umrahmte den Körper des Jungvampyrs. In der Mitte, genau vor dem Jungen, erkannte Anastasia eine weitere Männergestalt. Zuerst war sie undeutlich. Dann machte sie einen Schritt auf sie zu, so dass sie vom Licht erhellt wurde und den Jungvampyr völlig verdeckte.
Der Mann glich ihm von Größe und Gestalt. Auch er schwenkte sein Schwert. Anastasia schaute ihm ins Gesicht. Ihr erster Gedanke, gefolgt von Schock und Überraschung, war:
Er hat ein freundliches Gesicht – wirklich gut aussehend.
Dann keuchte sie auf, als sie begriff, wen sie da sah. »Du bist er! Der Jungvampyr hinter dir. Das bist du!« Nur war es nicht
wirklich
der Junge. Soviel war klar. Die neue Gestalt war ein erwachsener Mann, ein voll gewandelter Vampyr mit einer unglaublich exotischen Tätowierung. Zwei Drachen flankierten den ausgefüllten Halbmond auf seiner Stirn. Körper, Schwingen und Schwänze erstreckten sich über sein Gesicht und umschlossen das feste Kinn und die vollen Lippen – Lippen, die ein entwaffnendes, charmantes Lächeln zeigten. »Nein, du bist nicht der Jungvampyr«, sagte sie und schaute von seinen Lippen zu den braunen Augen, die sein Lächeln funkelnd widerspiegelten.
»Du hast mich angezogen, Anastasia. Du solltest wissen, wer ich bin.«
Seine Stimme klang tief und angenehm.
»Ich habe dich angezogen? Aber ich …« Sie verstummte. Was hatte sie gesagt, unmittelbar bevor der Jungvampyr erschienen war und sie dazu gebracht hatte, ihn mit ihrem Zauber zu besprühen? Jetzt fiel es ihr wieder ein! »Ich hatte gerade gesagt: ›Schwertgleich teilt Magie die Flamme, Wahrheit über Bryan Lankford sei der Name!‹« Anastasia hielt inne und starrte auf die Tätowierungen des Vampyrs … die
Drachen
tätowierungen. »Ist das möglich?
Du
kannst doch nicht Bryan Lankford sein! Und woher kennst du meinen Namen?«
Sein Lächeln wurde breiter. »Du bist so jung. Das hatte ich vergessen.« Er hielt ihren Blick gefangen und verneigte sich galant. »Anastasia, meine Einzige, meine Priesterin, es ist Bryan Lankford, den du angezogen hast. Hier bin ich.« Er lachte kurz. »Und mich hat schon seit sehr, sehr langer Zeit niemand mehr Bryan genannt.«
»Ich wollte dich doch nicht
wirklich
anziehen! Du bist alt!«, platzte sie heraus. Ihr Gesicht wurde heiß. »Nein, so meinte ich es nicht. Du bist älter als ein Jungvampyr. Du bist ein gewandelter Vampyr. Natürlich kein
alter
.« Anastasia hätte sich am liebsten unter dem Altarstein verkrochen.
Bryans Lachen war gutmütig und sehr anziehend. »Du wolltest die Wahrheit über mich wissen, und die hast du nun heraufbeschworen. Meine Einzige, dies ist der, der ich in Zukunft werde, weshalb ich auch, wie du sagst,
alt
und ein voll gewandelter Vampyr bin. Der Jungvampyr dort hinter mir ist mein heutiges Ich. Jünger, hitzköpfig und viel zu selbstgefällig.«
»Woher kennst du mich? Weshalb nennst du mich ›meine Einzige‹?«
Und weshalb fühlt sich mein Herz an wie ein aufgeregter Vogel, der jeden Moment die Flucht ergreifen kann?,
fügte sie schweigend hinzu. Laut aussprechen konnte sie es nicht.
Er kam näher und hockte sich neben sie. Langsam und ehrfürchtig berührte er ihr Gesicht. Sie konnte seine Hand nicht wirklich spüren, doch in seiner Nähe stockte ihr der Atem. »Ich weiß es, weil du die Meine bist so wie ich der Deine. Anastasia, sieh mir in die Augen. Sag mir ehrlich, was du siehst.«
Sie musste gehorchen. Ihr blieb keine Wahl. Sein Blick hypnotisierte sie, wie alles an diesem Vampyr. Sie schaute ihm in die Augen und verlor sich darin: in der Freundlichkeit und Stärke, der Aufrichtigkeit und dem Humor, der Weisheit und der Liebe, der absoluten und vollkommenen Liebe. In seinen Augen erkannte Anastasia alles, was sie sich je von einem Mann erhofft hatte.
»Ich sehe einen Vampyr, den ich lieben könnte«, sagte sie ohne zu zögern und fügte hastig hinzu: »Aber du bist ein Krieger, das ist offensichtlich, und ich kann nicht –«
»Du siehst den Vampyr, den du liebst«, sagte er. Dann beugte er sich vor, nahm ihr Gesicht in die Hände und drückte seine Lippen auf ihre.
Anastasia hätte eigentlich gar nichts fühlen dürfen. Später ging sie die Szene immer wieder im Kopf durch und versuchte herauszufinden, wie das Phantom eines Mannes, das sie heraufbeschworen hatte, solche Gefühle in ihr wecken konnte, obwohl er sie gar
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