Draußen wartet die Welt
Tage später erhielt ich einen Brief von Daniel.
Liebe Eliza,
vielen Dank für Deine Aufrichtigkeit.
Daniel
Am Freitagabend musste ich nicht auf die Kinder aufpassen und Josh und ich gingen gemeinsam zu einem Footballspiel an der Schule. Die Abende wurden zunehmend kühler, und als wir das Haus verließen, fiel mir auf, dass ich gar keine warme Kleidung von zu Hause mitgebracht hatte. Josh gab mir eins seiner Sweatshirts mit dem Schriftzug »Giants« auf der Brust, dem Namen der Schulmannschaft.
Als wir auf den Metallbänken saßen, spürte ich dasselbe Gefühl der Kameradschaft, das ich auch beim Spiel der Cubs empfunden hatte. Nur dass es diesmal noch intensiver und persönlicher war. Jeder hier kannte einen oder mehrere Spieler auf dem Feld, eine der Cheerleaderinnen in ihren kurzen Röcken und das eine oder andere Mitglied der Blaskapelle, die ihre Stücke so mitreißend spielte.
Ich verstand das Spiel überhaupt nicht. Alles, was ich sah, waren Gruppen gut gepolsterter Jungen, die sich immer wieder versammelten, bevor sie aus vollem Lauf gut gepolsterte Jungen in andersfarbigen Trikots rammten. Aber mir gefielen die Show der Cheerleader, die anfeuernden Gesänge und das Gefühl der Gemeinschaft. Während ich auf der Bank saß, in den Farben der Schule gekleidet, war ich genau wie alle anderen – nur ein weiteres Gesicht in der Menge.
Nach dem Spiel gingen wir noch mit Greg und Valerie etwas trinken, um den Sieg zu feiern.
Als wir am Tisch saßen, begann Josh, an seinem Telefon herumzuspielen. Er hatte während des Spiels Fotos damit gemacht und schaute sie sich an, um zu sehen, ob er einige von ihnen für seinen Zeitungsartikel verwenden konnte.
»Kann ich mal sehen?«, fragte ich. Er lehnte sich zu mir und hielt mir die kleine glatte Oberfläche seines Telefons hin. Unter dem Glas war im Miniaturformat eine eingefrorene Szene aus dem Footballspiel zu erkennen: Ein Spieler rannte mit dem Ball im Arm übers Feld, während ihn ein Spieler der anderen Mannschaft verfolgte. Josh drückte auf einen Knopf, und das Bild veränderte sich und zeigte sämtliche Spieler der Mannschaft, die dicht zusammengedrängt im Kreis standen und sich umarmten. Wie ich heute gelernt hatte, nannte man das einen »Huddle«.
»Dann sind Telefone also auch Kameras«, sagte ich.
»Oh ja«, bestätigte Greg und holte sein Handy heraus. »Mein ganzes Leben ist hier drin. Ich hab hier meine Fotos, meine Playlisten, meine E-Mails.« Er hob sein Telefon hoch. »Lächeln, Eliza«, sagte er. Instinktiv hielt ich mir eine Hand vors Gesicht. Obwohl ich in dieser modernen Welt schon so viel erlebt hatte, war ich noch nie fotografiert worden. Man hatte mir meine Seele noch nicht gestohlen.
»Typisch Mädchen«, sagte Greg und lachte. »Die wollen nie, dass man sie fotografiert.«
»Warte bis nächstes Wochenende«, sagte Valerie und knuffte mich in die Seite. »Da werden so viele Kameras auf dich gerichtet sein, dass du gar nicht weißt, wohin du gucken sollst.«
Ich hielt den Atem an. Wir hatten zwar darüber gesprochen, dass wir uns vor dem Ball fotografieren lassen würden, aber ich hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, was das für mich bedeutete. Nun musste ich jedoch unwillkürlich an den bevorstehenden Diebstahl meiner Seele denken. Ich lächelte, als mir bewusst wurde, dass ich der Liste in meinem Tagebuch etwas Neues würde hinzufügen können.
An jenem Sonntag war ich mit Josh bei Beth und John zum Abendessen eingeladen. Josh unterhielt sich mit John angeregt über die Northwestern University.
»Hast du Beziehungen zur Zulassungsstelle?«, fragte Josh. »Ich glaube, ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann.«
John schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Josh. Ich fürchte, das musst du allein schaffen. Aber wenn es so weit ist, schaue ich mir gern mal deinen Bewerbungsaufsatz an und gebe dir ein paar Tipps.«
»Danke. Ich bewerb mich sowieso erst in einem Jahr. Aber alle reden darüber, als würde unsere ganze Zukunft davon abhängen, wo wir angenommen werden.« Er schüttelte den Kopf. »Ich versuche, nicht so verbissen darüber nachzudenken. Ich will einfach nur an eine Uni mit einem guten Journalismus-Studiengang.«
»Du bist eigentlich ziemlich jung, um genau zu wissen, was du als Hauptfach belegen willst«, bemerkte John.
Josh beugte sich nach vorn, und ich wusste, dass er nun seine Geschichten über seine Liebe zum Journalismus zum Besten geben würde. Ich hörte gerne, wie er schon als kleiner Junge
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