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Draußen wartet die Welt

Draußen wartet die Welt

Titel: Draußen wartet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Grossman
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das Klimpern eines Schlüsselbunds, bevor sich der Schlüssel im Schloss drehte. Die Haustür wurde aufgestoßen und knallte gegen die Ablage, die im Eingangsbereich stand. Meine Mutter erhob sich und ging ganz langsam um den Couchtisch herum, als Beth durch die Tür trat. Sie war ganz rot vor Aufregung.
    Einen langen, schweigenden Moment lang standen beide wie angewurzelt da und starrten sich quer durch das Zimmer an. Dann streckte meine Mutter beide Arme vor sich aus und schien Beth mit ihren Fingern berühren zu wollen. Beths Miene verzerrte sich zu einer Mischung aus Weinen und Lachen. Sie rannte mit ausgestreckten Armen auf meine Mutter zu, während ihr Zopf auf ihrem Rücken hin und her hüpfte, bis sie einander endlich stolpernd in die Arme fielen.
    Ich ging ein Stück auf sie zu, um ihnen näher zu sein, aber ich wollte diesen sehr privaten Moment zwischen den beiden nicht stören. Ein tiefes, lautes Heulen drang aus der Umarmung. Dann streckte jede der Schwestern einen Arm nach mir aus und sie schlossen mich fest in ihre innige Umarmung. Ich war mir nicht sicher, wie lange wir so beieinanderstanden, die Arme umeinandergelegt, die nassen Wangen aneinandergepresst. Ich machte einen Schritt zurück und spürte, wie sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln hoben. »Mom«, sagte ich, »ich möchte dir gerne meine Freundin Betty vorstellen.«
    Meine Mutter und meine Tante fielen einander erneut um den Hals und ihre Schultern zitterten vor Lachen. Mit einem Mal breitete sich ein Gefühl der Leichtigkeit in meiner Brust aus, das bis in meine Gliedmaßen ausstrahlte. Es war dasselbe Gefühl, das ich gespürt hatte, als Josh mir zum ersten Mal ein Lied der Beatles vorgespielt hatte. Als ich sah, wie sich meine Mutter und meine Tante in den Armen lagen, wusste ich, dass alles gut werden würde. Der Bann und die harschen Worte gehörten in eine andere Zeit.
    Sie setzten sich auf die Couch, hielten sich noch immer an den Händen und schienen ihren Blick nicht voneinander abwenden zu können. Ich ließ mich auf einen Stuhl nieder, verschränkte die Arme vor meiner Brust und presste meine Ellbogen ganz fest gegen meinen Brustkorb, so als wollte ich verhindern, dass meine Gefühle aus meinem Körper tanzten.
    »Wo fangen wir an?«, fragte Beth.
    Meine Mutter schwieg einen Augenblick lang. »Fangen wir hier und jetzt an.«

 
Kapitel 30
    Und sie fingen hier und jetzt an. Beim Abendessen am großen Küchentisch und später im Wohnzimmer bei einer dampfenden Tasse Tee erzählten sich Beth und meine Mutter Geschichten aus ihrem Leben. Ich hörte aufmerksam zu, selbst bei den Geschichten, die ich bereits kannte.
    Als eine Pause in der Unterhaltung entstand, beugte sich Beth nach vorn. »Erzähl mir von Emily«, bat sie. Ihre Stimme klang drängend, und ich erinnerte mich wieder an die Geschichte von Beth, die zum Fenster ihrer Freundin hinaufgeschaut hatte, nachdem man sie an der Haustür abgewiesen hatte.
    »Oh, ja, ich hatte ja ganz vergessen, wie eng ihr befreundet wart«, erwiderte meine Mutter. »Emmy ist mit Adam verheiratet und sie haben vier Kinder. Aber weißt du, ich hatte immer das Gefühl, dass er nicht ihre erste Wahl als Ehemann war. Ich hatte den Eindruck, dass sie mehr Interesse an Joseph hatte.«
    »Das stimmt«, sagte Beth. »Es ist schon komisch. Emmy hat mich gemieden, weil ich mir meinen Ehemann selbst aussuchen wollte. Aber am Ende hat sie sich vielleicht gewünscht, sie hätte dasselbe getan.« Ihre Hände hielten sich zitternd an der Teetasse fest und sie sah meine Mutter an. »Wie war das, nachdem ich weggegangen bin?«
    »Schrecklich«, antwortete meine Mutter, ohne zu zögern. »Wir haben an jenem Abend alle Mom und Dad besucht – Amos und ich, Ike und Miriam, die Kinder. Wir wollten zusammen sein. Dann, als wir gerade das Tischgebet sprechen wollten, hat Mom auf deinen leeren Stuhl geschaut und angefangen zu weinen. Dad ist vom Tisch aufgestanden, hat den Stuhl über seinen Kopf gehoben und ist damit aus dem Zimmer marschiert.«
    »Das ist typisch Dad«, warf Beth ein. »Und hat er irgendwas gesagt?«
    Ich umarmte mich selbst ganz fest, wartete gespannt und sah zu Beth hinüber, deren Finger mit dem Ende ihres langen Zopfs spielten.
    »Er hat gesagt: ›Jeder hier weiß, dass wir heute Abend einen schrecklichen Verlust erlitten haben. Unsere Familie hat nun ein Mitglied weniger.‹« Die Stimme meiner Mutter war nur noch ein Flüstern. »Dann hat er gesagt: ›Wir müssen alle daran denken, dass

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