Dreamboys 01 - Tigerjunge
schwach. Tarun und Sanjay sahen müde aus von der langen Fahrt. Immerhin gab es keinen Schnee in Freiburg. Auf den Rasenflächen lugten bereits Schneeglöckchen, Winterlinge und bunte Krokusse zwischen den mattgrünen Halmen hervor. Einen Moment lang sah ich unser hitzeflirrendes Camp am Bach in Simlipal vor uns. Da erschien Jana.
Sie wirkte mit ihrem langen, blonden Haar und dem hübschen Gesicht sehr anziehend. Überschwänglich umarmte und drückte sie mich. Ich stellte ihr Tarun und Sanjay vor. Die beiden reichten meiner Schwester artig die Hand. Jana betrachtete sie interessiert. »Herzlich willkommen in Freiburg! Und wer ist der Vierte im Bund?«, fragte sie neugierig. Ich zückte sofort mein Handy und zeigte ihr ein paar Fotos von Alain, natürlich in bekleidetem Zustand. Meine Lieblingsnacktfotos von uns allen hatte ich in einem anderen Ordner gespeichert! Jana pfiff wie ein Junge. »Sieht gut aus, der Mann!«, meinte sie anerkennend.
»Mach dir keine Hoffnungen!«, entgegnete ich mit einem Grinsen. »Wie geht es Corinna?«
»Sehr gut, sie hat ja mich!«, versetzte sie, und wir lachten alle.
Wir stiegen in ihren betagten Chevrolet ein. Sie fuhr uns durch die Altstadt auf die andere Seite der Stadt, denn die Villa unserer Eltern lag in der Nähe des Schlossbergs, in einer traumhaften Gegend. Jana wohnte mit ihrer Freundin etwas außerhalb von Freiburg in einem renovierten Bauernhäuschen, das eher einer Puppenstube als einem Haus glich. Ich hatte mir vor Jahren nur ein sehr kleines Appartement in der Altstadt genommen, das ich aber für die – ursprünglich geplante – Dauer des Indien-Aufenthaltes untervermietet hatte. Ich war also auf meine Eltern angewiesen.
Während der Autofahrt erzählte Jana, dass unsere dreiundzwanzigjährige Schwester Melusine allen Ernstes heiraten würde, schon am übernächsten Wochenende! Da hatte sich also doch ein Trottel gefunden, der es mit ihr aushalten wollte.
»Was ist denn das für ein Typ, der sich an unsere launische Melu heranwagt?«, erkundigte ich mich.
Jana zuckte mit den Schultern. »Er heißt Oliver, ist so alt wie Melu und studiert auch hier in Freiburg, Germanistik. Will mal Lehrer werden.«
»Ach du Schreck! Und wie tickt er? Ist er hässlich? Oder bitterarm?«
Sie kicherte. »Du wirst staunen, er sieht nicht schlecht aus. Aber kann sein, dass er arm ist und auf das Geld von Ma und Pa spekuliert. Mir ist das gleich, ich hoffe nur, dass Melu ein bisschen ausgeglichener wird, wenn sie einen Kerl hat.«
Sie bremste, lenkte den Wagen durch das Tor unseres Villengrundstücks und fuhr langsam die gewundene Auffahrt entlang. Oben auf dem Schlossberg strahlte das erleuchtete Restaurant. Unten im Garten meiner Eltern wiesen halbhohe Solarleuchten den Weg.
Unsere Mutter erschien an der Eingangstür der Villa, nachdem Jana laut gehupt hatte. Ich stieg die wenigen Stufen hinauf und umarmte sie. Sie wirkte froh, dass sie mich wiederhatte. Ma war erst sechsundvierzig Jahre alt, zehn Jahre jünger als Pa, und sie hatte sich prächtig gehalten. Sie redete auf mich ein und fragte tausend Sachen auf einmal, bis ihr Blick auf Tarun und Sanjay fiel.
Ich fasste meine beiden Freunde um die Schultern und zog sie näher heran. »Das ist Tarun, Ma, und das ist Sanjay. Es wäre schön, wenn sie auch bei euch unterkommen könnten, bis wir eine größere Wohnung gefunden haben«, sagte ich so beschwingt wie möglich.
Ma starrte die beiden hübschen, jungen Männer an. »Hier bei uns?«, ächzte sie. »Wohnen? Wer … wer sind sie denn?«
Ich versuchte, charmant zu lächeln. »Sanjay hat im Camp immer für uns gekocht, inzwischen ist er ein Freund von uns. Und Tarun«, ich sah unseren Tigerjungen verliebt an, »Tarun ist auch ein Freund von uns, ein ganz besonders lieber Freund. Er wird vermutlich einmal sehr berühmt werden.«
»Berühmt? Ist er Künstler?« Sie hatte den beiden immer noch nicht die Hand gereicht.
Ich mochte meine Mutter, aber ihre antiquierte, katholische Einstellung nervte mich. »Ja, Überlebenskünstler. Dürfen wir hereinkommen?«
»Ja, ja sicher!« Sie trat etwas irritiert in die Eingangshalle zurück. Wir folgten. »Du sagst immer ‚uns’, Nicky. Wen meinst du denn damit?«
»Alain, Jean-Alain de Bresse. Du weißt, mein Projektleiter. Er ist jetzt mein Freund. Unser Freund.«
Ma begann, schwer zu atmen. Das theoretische Wissen, dass der Sohn schwul war, und die Konfrontation mit dessen diversen Lovern – das waren zwei grundverschiedene
Weitere Kostenlose Bücher