Dreck: Roman (German Edition)
das, was Großmutters Garten hätte werden sollen. Disteln und trockenes gelbes Gras bis zu den Schultern, die Füße außer Sicht, Klapperschlange und Eidechse. Ihm war egal, was passierte. Die Schlegeleiche mit ihren dornig zulaufenden Blättern kratzte ihm über die ganze Haut, durch seinen Panzer aus Dreck hindurch. Ein Dickicht, und er wühlte sich durch, genoss die Bewusstheit, die all diese Schnitte mit sich brachten. Ein Wald zumHäuten. Die Blätter nur halb lebendig, halb grün, die Stämme dünn und zahlreich und im Schatten verborgen. Sein Kopf noch immer der Sonne ausgesetzt, während er sich durchwühlte, kurze Bäume ohne richtigen Schatten.
Die Wildnis dehnte sich aus, streckte sich immer weiter, Distel und Gras und Schlegeleiche. Beine und Bauch von Disteln gekrallt, Füße von Dorn und Zweig und Stein durchbohrt. Er streckte die Arme aus, wenn er konnte, um noch mehr Disteln und Eichen zu erwischen. Ein trockenes flaches Meer, durch das er watete, erbarmungsloses Meer, brennende Augen, der Geschmack von Salz, und er der einzige Mensch, der hier watete.
B ärentraube. Die fand Galen in der Wildnis. Er hatte das nicht vorhergesehen, er hatte gedacht, sie wüchse nur an Berghängen. Und dann stand er vor ihr, rote Borke, dünn wie Papier. Weiche, beinahe schillernde Stämme, Schattenwinkel, die das Licht ins Türkise bündelten, Augenspiegelung. Die Äste geschwollene, obszöne rote Gliedmaßen, rund und prall, dass die Haut abplatzte und in Röllchen abfiel. Er pflückte ein Röllchen ab und hinterließ einen Riss, unter dem ein helles, weißliches Grün zum Vorschein kam, kein rotes Fleisch.
So wenig in der Hand, dieses Röllchen. Gar nichts, wenn es einmal vom Baum gelöst war, von seinem Werden. Er ließ es fallen und hörte nichts. Die Blätter hellgrün und hart, feste Tränen von kaum drei Zentimeter Durchmesser, samtig und unwahrscheinlich in dieser Hitze, wo alles so trocken war.
Die Bärentraube schien ihre eigene Wasserquelle zu besitzen, wohlbehütet und geheim. Ein Dutzend Stämme, die sich alle nach außen bogen wie zu einem Korb, Raum abwehrend und schaffend. Galen stellte sich eine Pfahlwurzel vor, etwas, das tiefer hinunterreichte, als die anderen je ermessen konnten, aber das traf ganz gewiss nicht zu. Vielleicht trieb sie kurz unter der Oberfläche.
Er wollte der Bärentraube seine Reverenz erweisen, wusste aber nicht, wie. Die ganze Zeit hatte er nicht gewusst, dass es sie hier gab. Er kauerte sich hin und kroch nah heran, kam aber nicht in die Mitte. Eine Art Käfig, der ihn aussperrte.
Galen kroch weg von der Bärentraube, fühlte sich wohl auf Händen und Knien, mit dem Boden im Blick und dem trockenen Gras über ihm. So viel besser, als die blanke Luft über sich zu haben. Wie sein Körper vorwärtskroch, katzenhaft, mit erhöhter Achtsamkeit. Geräusche und Bilder ganz nah, und das Gefühl, dass andere Dinge ihn beobachteten. Er wollte einer Klapperschlange ins Angesicht sehen, wollte spüren, wie sein Herz einen Sprung machte.
Er stellte sich seine Mutter vor, dicht am Boden, auf der Seite liegend, Kräfte sparend. Verborgen im Schatten des Schuppens bei den Trockengestellen auf der Suche nach kühler Erde. Er stellte sich ihre Haut vor, die dünn wurde wie Papier, wie die Bärentraubenborke beim Trocknen.
Die dichten Disteln eine Art Festung, die sich in Lagen auftürmte, am breitesten unten. Wachsgrün und dick mit milchig weißen Venen, die violette Blüte hoch oben eine Quaste aus Seide. Distel und Bärentraube hielten ihre Farbe, während die anderen austrockneten, gelb und braun wurden, die Distel noch saftiger, sog ihre weiße Milch aus dem Nirgendwo.
Galen kroch zum Fuß einer Schlegeleiche in breiteren Schatten, die Dornen kritzelten scharf auf seinen Rücken. Laub schnitt ihm in Hände und Knie. Überall Ameisen, rote und schwarze, ein Leben in Totholz. Galen legte sich zu ihnen und wartete. Lag da, wie seine Mutter dalag, teilte mit ihr den Boden.
Dies sind die Wahrheiten, sagte Galen. Meine Mutter könnte tot sein. Oder liegt im Sterben. Und ich helfe ihr nicht. Ich habe ihr kein Wasser gebracht, und jetzt helfe ich ihr auch nicht. Ich liege im trockenen Gras unter der Schlegeleiche und warte darauf, dass sie stirbt. Das mache ich hier nämlich.
Die Ameisen überall auf ihm, kleine Besucher auf ihren unmöglichen Spaziergängen. Zum Mond und zurück war eine Kleinigkeit für eine Ameise. Sobald eine Ameise nach Hause kam, zog sie wieder
Weitere Kostenlose Bücher