Drei Frauen und los: Roman (German Edition)
Wie lautet ihre Telefonnummer?« Er musste dreimal fragen, ehe sie ihm die Nummer sagen konnte, so sehr zitterte sie.
Während er wählte, ließ er sie nicht aus den Augen. Tracee blinzelte und gab sich alle Mühe, nicht loszuheulen. »Setz dich hin«, sagte er, aber sie rührte sich nicht, solange er darauf wartete, dass ihre Mutter oder ihr Vater an den Apparat ging. Niemand hob ab. Sie waren nicht zu Hause.
»Setz dich«, sagte er erneut, und diesmal gehorchte sie.
»Bleib auf deinem Hintern sitzen.« Er ging hinaus und knallte die Tür zu. Sie dachte, er würde die Polizei holen, und machte keinen Mucks. Sie wartete darauf, verhaftet zu werden. Aber nach einer Weile kam er zurück und rief noch einmal bei ihren Eltern an. Es war immer noch niemand da.
»Tut mir leid«, sagte Tracee.
»So leicht kommst du mir nicht davon.«
Ihm war nicht klar, dass sie sich für ihre Eltern entschuldigte, weil sie nicht zu Hause waren.
»Wo sind deine Eltern?«
Tracee schüttelte den Kopf. Sie wusste es nicht. Das wusste sie nie. Ihr Vater war Fernfahrer, seine Touren dauerten den ganzen Tag und manchmal auch zwei bis drei Tage. Oft sprang ihre Mutter im letzten Moment in die Kabine und fuhr mit. Dann lachten und schmusten sie – ihre Mutter krabbelte ihrem Vater regelrecht auf den Schoß. Gelegentlich winkten sie, wenn sie davonfuhren. Meistens nicht. Tracee musste sehen, wie sie klarkam.
Mr. Squires ging wieder.
Als er das nächste Mal kam, um noch einmal anzurufen, setzte er sich an den Holzschreibtisch und klopfte ungeduldig mit dem Finger, während das Telefon klingelte. Dann gab er es auf, zog ein paar Schubladen auf und wieder zu, bis er schließlich ein Transistorradio fand. Er stellte es neben dem Haargummi auf die Tischplatte und schaltete es an. »Dreh an dem Rädchen, und such dir etwas, was dir gefällt. Aber klau’s nicht.« Er lachte und ging wieder. Tracee fasste das Radio nicht an, zwei Stunden lang hörte sie Weihnachtsmusik. Bei den Liedern, die sie kannte, summte sie ein bisschen mit.
Als es sechs Uhr war und Ladenschluss, sich aber bei Tracee zu Hause immer noch niemand meldete, sagte Mr. Squires: »Mein Gott, du bist eine streunende Katze. Was soll ich nur mit dir machen?«
»Ich könnte zu Lana gehen.«
»Wer ist das?«
»Meine Freundin von nebenan.«
»Ich bring dich hin.«
Tracee stand auf, und da merkte er, dass sie ihren Parka noch anhatte. Sie hatte stundenlang in dem dicken Mantel dagesessen.
»War dir nicht zu warm? Es ist ziemlich heiß hier drin.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich versuche es noch ein letztes Mal.« Inzwischen konnte er die Nummer auswendig und schaltete den Lautsprecher an. Der Haargummi lag noch immer auf der Schreibplatte, und er ließ ihn kreisen, während das Telefon klingelte. Schließlich legte er auf.
Er reichte ihr den Haargummi. »Warum behältst du den nicht einfach. Als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.«
Tracee wollte schon den Kopf schütteln, aber stattdessen streckte sie die Hand aus.
Er fuhr sie in seinem großen Auto nach Hause, und als er vor dem Haus ihrer Eltern hielt, fiel ihm, wie sie genau wusste, auf, dass es das einzige in der ganzen Straße war, an dem kein Kranz oder eine hübsche rote Schleife hing und keine Lichterkette um einen kahlen Busch oder die Verandabrüstung geschlungen war. Am Haus von Lanas Familie gab es das alles und sogar noch ein großes Rentier aus Plastik.
»Tut mir leid«, sagte sie zu Mr. Squires, aber auch diesmal meinte sie nicht das Stehlen, sondern den Zustand des Hauses.
»Mach es nicht noch einmal.«
Er fuhr erst, als sie bei Lana geklingelt und Lanas Vater sie eingelassen hatte.
Tracee nahm den Haargummi mit nach Hause und steckte ihn in ihre Schublade, als könnte sie ihn einfach tragen. Sie benutzte ihn nie. »Was soll ich heute anziehen?«, fragte sie sich jeden Tag, auch wenn die Auswahl gering war.
Lana wusste, dass Tracee Sachen klaute, aber sie erfuhr nur schrittweise davon und dachte nicht oft darüber nach. Viele Kinder stahlen gelegentlich. Einige Mädchen aus der Sechsten prahlten immer mit ihren Raubzügen im Kaufhaus; stolz zeigten sie ihre Beute vor und erzählten, wie sie es angestellt hatten und wer die Diebin war. Tracee hörte allerdings nicht mit dem Stehlen auf, als sie erwachsen wurde. Sie durchlief eine Hello-Kitty-Phase (Schlüsselketten, Stifte, Anstecker und Plastikgeldbeutel, alles mit diesem rosa-weißen Comic-Kätzchen) und warf die Sachen in einem Haufen auf den Boden
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