Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Fingern zu schnipsen und sieht mich auffordernd an. Ich höre den Text zu dieser Melodie zum zweiten Mal, in Ladino, wie er es mir in der Küche vorgesungen hat; und ich stimme in den Refrain unseres Lieds ein: »Avram avinu, padre querido, padre bendicho, luz de Israel!«
Vor unseren Mündern steht der Atemnebel in der Kälte des frühen Novembertags, hier in diesem alten Magazin voller Muff und Mottenkugelgeruch.
Dann tanzen wir, ehe wir das Zeichen zurücklegen in sein Versteck. Denn schließlich gehört es noch nicht mir, sondern Mendel Laskarow, und ich muss erst mit ihm reden. –
Wir sind viel zu aufgewühlt, um gleich nach Haus zu fahren. Haben uns ein Stück weit eine Taxe genommen und schlendern nun, vorbei an Dom und Schloss, am Spreeufer entlang Richtung Molken- markt. Der Weg führt am Dom vorbei, diesem düsteren pompösen Bauwerk, und am protzigen Stadtschloss. Die Sonne blitzt einmal ausnahmsweise zwischen den Wolken hervor, aber es weht trotzdem noch immer ein eiskalter Wind. Er kommt von hinten, treibt uns voran, jagt uns die Haare ins Gesicht. Mein Mantel ist viel zu dünn, aber Schlomo hat den Arm um mich gelegt, so friere ich nicht. Die letzten welken Blätter treiben an uns vorüber, als würde sie jemand hetzen. Die Bäume sind bereits kahl.
Das Sonnenlicht blendet. Ich muss blinzeln. Wir schweigen.
Schließlich sagt Schlomo: »Ich bin ein solcher Chamer – was Esel heißt«, übersetzt er gleich mir zuliebe. »Stürze mich selbst ins Verderben.«
»Was meinst du?«
Er zieht mich fester an sich. »Du wirst über kurz oder lang fortgehen mit deinem ›Taw‹ nach Südfrankreich und mich hier allein- lassen«, konstatiert er.
Ich antworte nicht. Einmal habe ich geträumt, dass er mit mir in Hermeneau war. Es war auf dem Felsplateau und er redete mit mir. An mehr kann ich mich nicht erinnern.
»Erst einmal spielen wir den ›Sternensohn‹ weiter«, entgegne ich nun. »Und dann ist es kurz vor Weihnachten. Macht ihr da nicht Spielpause?« Und als er nickt: »Ja, warum kommst du nicht einfach mit mir und besuchst die alte Frau in Hermeneau? Sie wird dich herzlich willkommen heißen. Vielleicht können wir bei ihr bleiben, für eine Zeit. Der Winter wird mild sein dort, wir warten, bis es Frühling ist.«
»Wie stellst du dir das vor? Ich kann doch Tate-Mame nicht im Stich lassen!«
»Vielleicht gibt es ja ein Stück auf dem Spielplan, in dem der Heldendarsteller nicht auftritt!«
»Kein Einziges!«, widerspricht er entrüstet. »Die wollen schließlich das Haus vollbekommen!«
»Na, irgendeine Revue, einen weiteren Bunten Abend ohne dich werden sie ja vielleicht mal für eine kurze Zeit zusammenbringen!«, sage ich.
Er schweigt.
»Ich will überhaupt nicht, dass du irgendwohin gehst«, sagt er dann heftig. »Ich will, dass du für immer bleibst.«
Und nun erschrecke ich. Denn da sind ja die anderen Buchstaben, die ich holen muss ...
»Jetzt ist jetzt«, sage ich schließlich. »Meinst du nicht, es wird sich alles finden, Sternensohn? So wie der Buchstabe sich gefunden hat?«
»Der Buchstabe wollte sich finden lassen«, murmelt er.
»Durch dich! Glaubst du nicht, dass das etwas zu bedeuten hat?«
Er zuckt die Achseln, und mir wird bange zumute. »Lass uns schneller gehen«, sage ich. »Ich beginne zu frieren.«
33
Liebe Isabelle und lieber Gaston,
es war nicht einfach, aber nun endlich kann ich berichten: Ich habe das erste der drei Zeichen entdeckt und ich werde es noch vor Jahresende nach Hermeneau bringen und in die Hände Isabelles legen.
Wenn ich dann komme, denke ich, komme ich nicht allein. Jemand wird bei mir sein, der mir alles bedeutet.
Euer Auftrag hat mein Leben von Grund auf verändert. Ich habe neue Verwandte, Abkömmlinge von Isabelles »deutschem Bruder«, aufgespürt. Ich darf Theater spielen. Und ich habe die Liebe meines Lebens gefunden. All das verdanke ich Euch. Viel habe ich zu erzählen, wenn ich erst bei Euch in Hermeneau bin.
Die schlimmen Dinge, die Isabelle gesehen hat, spielen sich hier in dieser Stadt tatsächlich ab. Ich danke dir, Gaston, für deine Warnung. Ich will versuchen, vorsichtig zu sein – aber immer ist das wohl nicht möglich, und es gibt Erlebnisse, die man lieber vergessen möchte. Auch dass ich einen geliebten Menschen verlieren werde, ist eingetroffen – mein Vater und ich, wir haben uns voneinander entfremdet.
Aber das alles werde ich euch ausführlich berichten, wenn ich wieder bei Euch bin. Ich umarme Euch. Eure
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