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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ledergepolstertem Sitz. Ist das der Sessel für Isabelle?
    Aber nein, sie setzt sich auf die Erde, kreuzt die Füße. So schlanke Fesseln hat sie, wie eine junge Tänzerin. Gaston nimmt neben ihrPlatz, und mich weisen sie ebenfalls an, mich auf eines dieser Polster zu setzen.
    »Nun, Leonie, frage. Das ist deine Stunde.«
    Ich fange mit dem Nächstliegenden an.
     
    »Ich heiße Lasker«, sagt sie. »Und du, Isabelle, nennst dich Laskère. Wir sind verwandt, behauptest du. Und gestern Nacht war von jüdischem Adel die Rede. Ich soll nun auf einmal eine Jüdin sein?«
    Isabelle macht eine kleine ungeduldige Handbewegung. Dann sagt sie mit einem Lächeln: »Ob du’s nun willst oder nicht. Du bist es.«
    Leonie presst die Lippen aufeinander. »Ich kann das nicht begreifen. Ihr sagt, ihr seid Juden. Also, die Laskers sind Juden. Aber – ihr seid doch völlig anders!«
    »Anders als wer oder als was?«, erkundigt sich Isabelle freundlich.
    Leonie nimmt ihren Mut zusammen. Sie schließt für einen Moment die Augen. »Bei mir zu Haus in Berlin«, sagt sie dann, »da gibt es zwei Sorten Juden. Die einen sind sehr arm und die anderen sehr reich. Na gut, vermögend seid ihr auch. Aber die in Berlin, die im Westend in ihren Villen, die machen Geschäfte und tragen dicke Pelzmäntel, und ihre Frauen sind mit Schmuck behangen, dass es nur so glitzert, und ihr Parfüm treibt einen auf die andere Straßenseite. Das sagt jedenfalls mein Vater. Die anderen, die armen, die wohnen alle zusammen in so einem Viertel, wo man eigentlich nicht freiwillig hingeht. Es heißt das Scheunenviertel; früher hat man da das Vieh durchgetrieben auf dem Weg zum Schlachthof. Viele dieser Juden im Scheunenviertel tragen lange schwarze Bärte und Locken an jeder Seite des Gesichts. Sie haben immer einen Hut auf und gehen das ganze Jahr über in Kaftanen, in Mänteln, die ihnen bis zu den Knöcheln reichen. Und sie machen da auch Geschäfte, aber von denen werden sie nicht reich. Und weder ihr noch ich gehören da irgendwie rein, weder bei den Reichen noch bei den Armen.«
    Es ist still, dann hört sie Isabelles weiche dunkle Stimme: »Warst du schon einmal in diesem Scheunenviertel?«
    Leonie nickt.
    »Sicher ist es zum Teil so, wie du es beschrieben hast. Aber bestimmt wirst du dort auch noch anderes fi nden, wenn du danach suchst«, sagt die »Ahnfrau«. »Die dort wohnen, das sind arme Leute, ganz arme Leute. Flüchtlinge eigentlich. Aber das sind wir ja alle.« (Es klingt schon wieder sehr geheimnisvoll.) »Du musst vielleicht als Erstes wissen, dass es in Europa zwei ganz unterschiedliche Gruppen von Juden gibt. Die einen haben sich ihr Exil in Deutschland und später in Polen und Russland gesucht, die anderen in Spanien und Portugal.«
    Leonie muss schon wieder dazwischenfragen: »Exil?«
    Es kommt ihr so vor, als würde Isabelle einen Seufzer unterdrücken, aber sie fährt gleichermaßen sanft und geduldig fort: »Das alles liegt lange Zeiten zurück. Bis ins römische Reich. Als die Römer in Judäa, in Palästina also, einfi elen und den Widerstand der dort lebenden Juden gegen sie mit Gewalt unterdrückten und ihren Tempel in Jerusalem zerstörten, vor fast zweitausend Jahren, da wurde unser gesamtes Volk aus seiner Heimat vertrieben und ist seitdem sozusagen auf der Wanderschaft. Das wusstest du nicht?«
    »Nein«, erwidert Leonie. Und fügt mit ein bisschen Schuldgefühl hinzu: »Es hat mich einfach nicht interessiert.«
    Gerade deswegen sieht sie Isabelle nun gerade und trotzig in die Augen und die nickt. Ganz sachlich.
    »Gut. Nun weißt du’s. Die Juden, die im Osten Europas und in Deutschland angekommen waren, nennt man Aschkenasen. Die anderen, die damals bis nach Spanien gewandert waren, heißen Sepharden. Wir, die Laskers, sind Sepharden.«
    Leonie guckt ungläubig. »Aber wir – ich meine, mein Vater und ich –, wir leben doch in Berlin! Wieso Spanien?«
    Isabelle lächelt. »Wir Laskers sind eben eine weit verzweigte Sippe, das wirst du noch erfahren. Denn dann sind unsere Vorfahren erneut vertrieben worden damals, vor fast fünfhundert Jahren, fort aus Spanien, und sie, die sephardischen Juden, sind in alle Länder gewandert, die bereit waren, sie aufzunehmen. Ebenfalls nachDeutschland, nach Holland, sogar bis ins Osmanische Reich sind wir gegangen. Das begann 1492, um es genau zu sagen.«
    Jetzt macht Leonie runde Augen. »1492? Aber da hat doch Columbus Amerika entdeckt!«
    »Columbus hat Amerika entdeckt«, bestätigt

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