Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
zu befi n- den, stattdessen Lastkarren mit Maultieren oder hoch bepackte Esel.
Gaston lädt sie mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen, rückt mit gewohnter Höfl ichkeit einen Stuhl für sie zurecht. Sofort kommt der Wirt aus der offenen Tür herausgeschossen, weiße Schürze um die dürre Taille geschnürt, und macht einen Bückling.
»Monsieur le Comte, welche Ehre, Sie zu sehen. Wunderbarer Tag heute, nicht wahr? Und Mademoiselle – willkommen an unserer schönen Küste. Ist das Ihre deutsche Verwandte, Monsieur? Enchanté! Ich bin entzückt!« (Man scheint also im Ort bestens über sie und ihre Herkunft unterrichtet zu sein.)
»Wie geht es der Frau Gemahlin? Wir haben sie länger nicht mehr bei uns begrüßen können! Ist sie gesundheitlich auf dem Posten?« Der Redestrom des Wirts ist nicht zu bremsen.
»Können wir bestellen?«, unterbricht Gaston freundlich.
»Aber gewiss doch, Monsieur le Comte! Für Sie das Übliche, n’est-ce pas? Und für Mademoiselle vielleicht eine Schokolade mit viel süßem Schaum?«
»Nein, nichts Heißes«, sagt Leonie. »Bitte nur ein Wasser.«
»Ein Wasser!« Der Wirt verdreht die Augen gen Himmel und küsst seine Fingerspitzen, als hätte sie eine ausgefallene Spezialität bestellt. »Natürlich! An einem heißen Tag wie diesem nur ein Wasser! Ich fliege!«
Gaston schmunzelt. »Wie findest du ihn?«, fragt er mit einer Kopfbewegung zur Tür.
Leonie nimmt ihren Hut ab und legt ihn neben sich auf denanderen Stuhl. »Er kommt mir vor, als wenn er auf dem Theater einen Gastwirt spielen würde!«, sagt sie, und der alte Mann lacht. »Du hast Augen, die sehen können! Liebst du das Theater?«
»Das ist mein halbes Leben.«
Der Wirt kommt mit dem Tablett zurück und unterbricht sie. »Et voilà!« Er stellt einen beschlagenen Tonkrug auf den Tisch, zwei Wassergläser, eine kleine Karaffe mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Bleibt stehen, die Hände auf der Schürze, offenbar bereit zu wei teren Plaudereien, aber Gaston wackelt mit dem Zeigefi nger – eine kleine Geste, die sofort verstanden wird. Man verzieht sich ins Innere des Bistros.
Gaston gießt das Glas Leonies voll und schüttet sich selbst zuerst den Inhalt der Karaffe in das seine, bevor er Wasser auffüllt. Die Flüssigkeit verfärbt sich milchig trüb.
»Was ist das?«, fragt Leonie.
»Pastis. Anisschnaps«, erklärt Gaston und nippt am Glas. »Sehr typisch für diese Gegend. So bekannt wie der Viadukt. Man sagt, dass Monsieur Eiffel diesem Getränk auch nicht abgeneigt war, als er den Viadukt hier gebaut hat vor fast siebzig Jahren. Ich frage mich, ob er beim Pastistrinken vielleicht daran gedacht hat, dass der Tunnel unter seinem Viadukt auch etwas hat von einem Eingang zur Unterwelt – denn der Ort heißt schließlich Cerbère, wie der Höllenhund Zerberus.«
»Eiffel? Ist das der, der in Paris den Eiffelturm gebaut hat?« »Eben der«, bestätigt Gaston. Plötzlich schmunzelt er. »Kennst du den Mythos vom Zerberus?«
»Ja, natürlich. Er bewacht die Unterwelt.«
Gaston sieht sie von der Seite an. »Übrigens«, sagt er plötzlich, »ist es auch ein Mythos, dass ich ein Graf bin.«
Leonie reißt die Augen auf und starrt ihn überrascht an. »Du bist kein Graf?«
Er legt kurz seine Hand auf die ihre. »Nein, chérie«, sagt er ruhig. »Kannst du dich nicht an den Absender auf dem Briefumschlag erinnern? Die Einladung, hierherzukommen? Ich heiße Lecomte, in einem Wort. Aber die Leute hier meinen natürlich, dass jemand, derauf einem Schloss wohnt, unbedingt ein Graf sein muss. Ich kann sie nicht davon abbringen. Und so bin ich eben Monsieur Le Comte auf Schloss Hermeneau.«
»Du und Isabelle – das ist alles ein ziemliches Durcheinander«, sagt Leonie ehrlich. »Ich bin eigentlich mit dir hierhergefahren, um mich ein bisschen abzulenken. Stattdessen erfahre ich schon wieder etwas Neues. Bist du überhaupt ... « Sie stockt. »Bist du eigentlich auch ein Jude?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich bin der Wächter und Beschützer von Isabelle. Und vielleicht der Wächter und Beschützer aller Laskers. Aber ein Jude bin ich nicht, auch wenn ich mit Isabelle die jüdischen Bräuche befolge.«
Leonie atmet tief durch. Wieder so etwas, was sie nur halb versteht. Wächter und Beschützer aller Laskers? Sie fragt etwas anderes. »Aber ... wieso seht ihr euch so ähnlich – du und Isabelle?«
Jetzt lächelt Gaston. Es ist ein schönes, inniges Lächeln, das seinen Ursprung in den Augen hat. »Ja,
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