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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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paar Meter vor uns stehen und mustert einen großen Schrank mit Bilderbüchern. Sie ist ganz aufmerksam, irgendetwas daran scheint sie zu fesseln. Aber was?
    Plötzlich springt ein Mann mit einer Papphundemaske hinter dem Schrank hervor.
    »Buh!!!«, brüllt er und stampft wenige Zentimeter vor Leonie mit dem Fuß auf, dass es nur so rumst. Leonie erschrickt fast zu Tode, ihre Gesichtszüge verharren eine Millisekunde in Schockstarre, dann brüllt sie los, wie ich es noch nie gehört habe.
    Der Kerl trägt die einteilige graue Arbeitskluft des Hausmeisters. Ich gehe in Kampfstellung. Habe früher mal Karate gemacht, mit etwas Glück lande ich den ersten Schlag, bevor sich Hasso in meinen Fuß verbeißen kann. Vor meinem inneren Ohr höre ich schon das lustige Quietschen, das der Teppich von sich geben wird, wenn der Kerl gleich aufschlägt.
    »Aus!«, ruft Anne laut.
    Anstatt mich anzugreifen, bleibt der Typ einfach stehen wie ein begossener Pudel. Anne nimmt die rhythmisch schluchzende Leonie auf den Arm und versucht, sie zu beruhigen. Der Hundemann breitet die Arme aus. Leonie heult noch lauter.
    »Habe ich Mist gebaut, Scheiße«, höre ich eine todtraurige Stimme hinter der Maske. Sie hat einen ungarischen Akzent.
    »Sseiße«, wiederholt Leonie zwischen zwei Schluchzern. Anne hält ihrem heulenden Kind die Ohren zu.
    »Herr Béla, sind Sie das?«
    Mit beiden Händen nimmt der Mann die Maske ab. Darunter kommt der Hausmeister und Kellner des Hauses zum Vorschein. Offenbar ist er neuerdings auch noch Kindermädchen.
    »Was soll denn diese Verkleidung?«, herrsche ich ihn an. »Sie haben Leonie fast zu Tode erschreckt!«
    »Erzieherin ist jetzt auch schwanger. Muss ich einspringen.«
    »Ja, aber das sollten Sie nicht so wörtlich nehmen.«
    »In Ungarn Kinder mögen Erschrecken.«
    »Ja, hier auch, aber mit etwas weniger Einsatz, bitte. Was soll diese Verkleidung?«
    »Ist grau. Wie Hunde im Sprichwort.«
    »Sie meinen, wie in: Nachts sind alle Katzen grau?«
    Herr Béla zeigt Leonie seine Maske. »Hund?«, fragt er versöhnlich.
    Leonie wirft sich in den nächsten Brüllanfall.
    »Die reparieren wir«, meint Herr Béla und will Leonie auf den Arm nehmen, aber Anne dreht sich mit ihr weg. Durch zusammengebissene Zähne zischt sie mir zu: »Ich werde meine Tochter auf gar keinen Fall allein mit diesem Irren …«
    »Ungar«, beharrt Herr Béla treuherzig. »Ich bin Ungar.«
    »Sie können froh sein, dass ich meine Tochter auf dem Arm habe, sonst würde ich Sie erwürgen, Sie Muskelprotz«, ruft Anne wütend. »Hundert Watt in den Armen, aber in der Birne brennt kein Licht!«
    Ob sie das auch schon mal zu ihrem Verlobten gesagt hat?
    Herr Béla lächelt, wie er es offenbar immer macht, wenn er kein Wort verstanden hat. Anne dreht sich auf ihren absatzlosen Schuhen um und stürmt mit der schluchzenden Leonie aus der Kinderbetreuung.
    »Frauen«, sage ich und zucke mit den Schultern.
    Herr Béla sieht mich mit entrücktem Gesichtsausdruck an.
    »Sie ist toll. So stolz.«
    Kurz überlege ich, ihm ein Leckerchen zu geben, weil er Anne aus der Reserve gelockt hat. Andererseits habe ich seinetwegen nun doch Leonie an der Backe.
    Ich verlasse nachdenklich das Zimmer. Herr Béla sieht mir hinterher. Als ich mich noch einmal umdrehe, ist er verschwunden, wahrscheinlich wieder hinter den Schrank.
    An der Rezeption steht Anne neben Jeannie und Leonie. Aus dem Mund der Kleinen ragt der weiße Pappstiel eines Lutschers. Auf dem Boden steht eine Art Cabriorucksack.
    »Was ist denn das?«, will ich wissen.
    Die Frauen sehen mich erstaunt an. Anne hebt das Teil hoch. »Eine Kraxe, du Depp. Für Leonie.«
    Ich muss an die Bilder von Eingeborenen denken, die ihren Nachwuchs in Bambusgestellen auf dem Buckel herumschleppen. Hatte nicht sogar Ötzi, die traurige Mumie des Ötztals, so ein Ding dabei? Ist er vielleicht sogar unter dem Gewicht seiner Kraxe tot zusammengebrochen?
    Anne wühlt die Verschlüsse, Riemen und Taschen beiseite, dann setzt sie Leonie in die Trage.
    »Aber mein Rücken«, wende ich ein.
    »Du musst das Gewicht auf den Hüftgurt verlagern, dann belastet es dein Kreuz nicht.«
    Sie befiehlt mir, mich vor die Kraxe auf den Boden zu hocken, das Ding umzuschnallen und hochzukommen.
    »Oder soll ich Leonhardt bitten, uns zu helfen?«
    »Auf gar keinen Fall.«
    Der Weg in die Armschlaufen erweist sich als Kraftakt. Dann bin ich drin. Vorsichtig lehne ich mich nach vorn, um Leonies Gewicht auszugleichen. Mit einer Hand

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