Dreikönigsmord (German Edition)
Momente breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus. Wieder schien die Sonne zwischen den Wolken hervor, während ein feiner Schneeschauer niederging. Vom Hof oberhalb der Treppe erklangen Frauenstimmen, die sich dann entfernten.
Jo hatte gehofft, dass die Äbtissin endlich einlenken und begreifen würde, dass sie das Verbrechen nicht aufklären konnte. Doch als die Alte sie nun ansah, funkelten deren Augen kämpferisch.
»Ich begreife Eure Argumente, was diese Indizien betrifft … Aber ich nehme doch an, dass Ihr auch mit Menschen reden müsst, um einen Mord aufzuklären? Schließlich hat sich schon der weise König Salomo des Gesprächs bedient, um herauszufinden, welche von den beiden Frauen, die behaupteten, die Mutter eines Knaben zu sein, die Wahrheit sagte.«
»Aber ich gehöre nicht in Ihre Welt, und ich rede nicht Ihre Sprache! Begreifen Sie doch endlich.« Jo schrie fast. Sie wollte aufstehen. Doch die Äbtissin fasste nach ihrem Arm. Ihr Griff war überraschend kräftig.
»Wartet!«, sagte sie barsch. »Ich bin noch nicht fertig. Als ich mich zu dem Toten hinunterbeugte, um ihm die Augen zu schließen, hatte ich eine Vision. Ich sah die Sterne vom nächtlichen Firmament stürzen und verlöschen. Dieser Mord ist kein gewöhnliches Verbrechen. Etwas abgrundtief Böses ist damit verbunden. Wenn diese Tat nicht gesühnt wird, wird sich die Ordnung der Dinge verkehren und das Böse wird über die Welt herrschen.«
Jo schwirrte immer mehr der Kopf. Erschuf ihre Fantasie gerade eine besonders abgedrehte Folge von Star Wars? »Ich kann Ihnen nicht helfen«, wiederholte sie. »Ich bin kein weiblicher Luke Skywalker, der die Welt rettet.«
Das Funkeln in den Augen der Äbtissin verstärkte sich. »Ich weiß zwar nicht, wovon Ihr gerade redet. Aber ich weiß mit Sicherheit: Ihr werdet nur in Eure Zeit zurückkehren können, wenn Ihr dieses Verbrechen sühnt. Denn diese Aufgabe hat Euch die Vorsehung gestellt. Weigert Ihr Euch, werdet Ihr auf immer verloren sein.«
Jo fühlte ein Grauen in sich aufsteigen. »Verschonen Sie mich mit diesem metaphysischen Unsinn«, schrie sie die Äbtissin an. Dann riss sie sich los und rannte davon.
2. KAPITEL
e, Lutz, noch ein Bier!« Ein rothaariger Mann, der ein rundes, sommersprossiges Gesicht hatte und dem der rechte Vorder- und ein Backenzahn fehlten, knallte seinen Holzbecher auf den Tresen. Oder wie auch immer man das im Mittelalter genannt hatte …
»Klar, mach ich.« Lutz Jäger nahm den Becher, trat zu dem Fass, das in einer Ecke der Grünen Traube stand, und drehte an dem hölzernen Hahn. Eine dunkelbraune Flüssigkeit schoss heraus. Nachdem der Becher gefüllt war, schob er ihn dem Rotschopf über den Tresen zu. Sein Name, glaubte sich Lutz Jäger zu erinnern, war Conrad. Er schätzte ihn auf dreißig Jahre. Aber, das hatte er mittlerweile begriffen, die Leute, mit denen er es in dieser Zeit zu tun hatte, wirkten häufig älter, als sie waren.
»Dank dir!« Der Rotschopf warf Lutz ein Geldstück zu und verzog sich dann zu seinen Kumpels, die an einem Tisch nahe der Tür saßen und miteinander würfelten. Lutz sah ihm nach, wie er sich durch den niedrigen, gut gefüllten Raum seinen Weg bahnte. Die Ausdünstungen der etwa fünfzig Männer ähnelten denen in einer Fußballer-Umkleidekabine – nur dass es dort nicht auch noch nach dem Rauch von Fackeln und eines Holzfeuers roch.
Als Lutz von einer Frau namens Josepha Weber erfahren hatte, hatte er gehofft, sie sei seine Kollegin. Was auch immer man gegen Jo Weber sagen mochte – und er hatte einiges gegen sie einzuwenden, beispielsweise, dass sie eine geradezu nervtötend gouvernantenhafte Art hatte –, tatkräftig und fähig war sie. Auch wenn sie vor einigen Monaten diesen wichtigen Fall verbockt hatte. Deshalb hätte er sich gern mit ihr verbündet, um wieder in die Gegenwart zurückzufinden. Aber wie die Dinge lagen, musste er nun eben allein zurechtkommen.
In Romanen und in Science-Fiction-Serien kamen häufig Zeitportale vor. Zumindest in der Sorte von Büchern, die er gerne las. Ob sich an dem Unfallort oder in dem Kloster so eine Art Portal befindet?, überlegte Lutz. Morgen würde er versuchen, das herauszufinden.
Lutz ging wieder zu dem Fass, zapfte sich selbst ein Bier und trank langsam davon. Der Geschmack war immer noch ein bisschen ungewohnt. Herber und malziger, als er ihn kannte, und das Bier bildete kaum Schaum. Er ließ die Flüssigkeit auf seiner Zunge kreisen. Eigentlich schmeckte das
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