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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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von Stunden, in denen er zahllose Eröffnungen, Spielzüge und Varianten studiert hat, mit seinem Stab oder allein. Ein Großmeister hat tausend Dinge im Kopf: Züge aus früheren Partien, Partien seiner Gegner ... Und alles das wird zu einer Art Gedächtnisstütze geordnet und dokumentiert und dient als Arbeitsmaterial.«
    »Eine Art Vademekum?«, erkundigt sich Max.
    »Genau.«
    Langsam gehen sie zum Hotel zurück. In den Oleanderbüschen tummeln sich die Bienen. Je tiefer sie in den Garten vordringen, desto leiser wird der Verkehrslärm, der von der Piazza Tasso kommt.
    »Ein Spieler wird niemals ohne sein Archiv reisen«, fährt sie fort. »Er hat es überall dabei. Das Buch eines Großmeisters enthält die Arbeit seines ganzen Lebens. Für gewöhnlich sind es Aufzeichnungen in Kladden oder Heftern. Jorges Archiv besteht aus acht dicken ledergebundenen Notizbüchern, die er in den vergangenen sieben Jahren unermüdlich gefüllt hat.«
    Im Rosengarten halten sie an einer ringförmigen gefliesten Bank, die einen mit trockenem Laub bedeckten Tisch umsteht. Ohne sein Buch, sagt Mecha, während sie ihre Handtasche auf den Tisch stellt und sich setzt, sei ein Spieler hilflos. Nicht einmal mit einem sehr guten Gedächtnis könne man alles behalten. Jorges Buch enthalte Informationen, ohne die er gegen Sokolow überhaupt nicht antreten könne.
    »Stell dir beispielsweise vor, dieser Russe hätte eine Abneigung gegen das Königsgambit, eine Eröffnung, die auf einemBauernopfer basiert. Und Jorge, der das Königsgambit sonst nie einsetzt, zöge in Erwägung, es bei der Meisterschaft in Dublin zu spielen.«
    Max steht neben ihr und hört aufmerksam zu.
    »Das würde in dem Buch stehen?«
    »Genau. Denk dir nur, was es für eine Katastrophe wäre, wenn Jorges Buch dem anderen in die Hände fiele. All seine Arbeit wäre vergebens. Seine Geheimnisse und Analysen in Sokolows Besitz.«
    »Könnte man das Buch nicht noch einmal neu schreiben?«
    »Dazu wäre ein weiteres halbes Leben nötig. Abgesehen davon, dass dein Gegner dann deine Gedanken und Pläne kennt.«
    Sie sieht an Max vorbei, und er wendet sich um und folgt ihrem Blick. Das von der russischen Delegation bewohnte Appartementhaus ist ganz nah, nur etwa dreißig Schritte entfernt.
    »Sag bloß, Irina hat Jorges Buch den Russen gegeben ...«
    »Nein, zum Glück nicht. Sonst könnte mein Sohn gleich das Handtuch werfen, hier und in Dublin. Die Sache liegt anders.«
    Kurzes Schweigen. Die goldenen Augäpfel – heller im Sonnenlicht, das durch das Geäst der Laube dringt – sind auf Max gerichtet.
    »Und hier kommst du ins Spiel«, sagt sie.
    Sie lächelt kaum merklich, auf eigentümliche Weise. Unergründlich. Max hebt eine Hand, als bäte er um Ruhe, um eine Musik oder ein unbestimmtes Geräusch besser vernehmen zu können.
    »Ich fürchte, ich ...«
    Noch bevor er unschlüssig abbricht, weil er nicht weiß, was er sagen soll, fällt ihm Mecha ungeduldig ins Wort. Sie hat ihre Tasche geöffnet und kramt darin.
    »Ich möchte, dass du mir das Buch des Russen beschaffst.«
    Max klappt der Unterkiefer herunter. Buchstäblich.
    »Ich verstehe wohl nicht richtig.«
    »Dann erkläre ich es dir.« Sie nimmt ein Päckchen Muratti aus der Tasche und steckt sich eine Zigarette in den Mund. »Ich will, dass du Sokolows Eröffnungsbuch stiehlst.«
    Sie sagt das mit völlig ruhiger Stimme. Max, der mechanisch nach seinem Feuerzeug sucht, stockt verblüfft mitten in der Bewegung.
    »Und wie soll ich das anstellen?«
    »Indem du in das Appartement des Russen gehst und es dir nimmst.«
    »Einfach so?«
    »Einfach so.«
    Die Bienen kommen jetzt näher, doch Max kümmert sich nicht um das Summen, sondern starrt weiter Mecha an. Plötzlich hat er das Gefühl, sich setzen zu müssen.
    »Und warum ich?«
    »Weil du Übung in solchen Dingen hast.«
    Er lässt sich neben sie auf die Bank sinken, noch immer verstört.
    »Ich habe noch nie ein Schachbuch gestohlen.«
    »Aber vieles andere.« Mecha hat eine Schachtel Streichhölzer hervorgeholt und zündet sich die Zigarette selbst an. »Auch etwas, das mir gehörte.«
    Er nimmt die Hand aus der Jackentasche und streicht sich übers Kinn. Was, zum Teufel, ist das eigentlich für ein Irrsinn, denkt er ratlos, in den ich hier hineingeraten bin.
    »Du warst ein Gigolo und ein Dieb«, bemerkt Mecha trocken und bläst den Rauch aus.
    »Das bin ich aber nicht mehr ... Ich tue so etwas nicht mehr.«
    »Aber du weißt, wie es geht. Erinnere dich an

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