Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Nerven. Charakter und Lebensumstände hatten ihn zu dem gemacht, was er war. Und seine Nervenstärke half ihm jetzt, die Knie still und denMund geschlossen zu halten. Äußerlich ruhig stand er vor ihr und fürchtete, ein unpassendes Wort oder eine unbedachte Geste könnten den seidenen Faden durchtrennen, an dem alles hing.
»Ich möchte mit dir schlafen«, sagte Mecha. »Und zwar jetzt.«
»Aber warum?«, brachte er schließlich hervor.
»Weil ich in diesen neun Jahren oft an dich denken musste, wenn ich meinen Kopf benutzt habe.«
»Trotz allem?«
»Trotz allem«, lächelte sie, »inklusive Perlenkette.«
»Warst du schon einmal in dieser Pension?«
»Du stellst zu viele Fragen. Und lauter dumme.«
Sie hob die Hand und legte die Finger auf Max’ spröde Lippen. Eine zarte Berührung, voller Verheißung.
»Natürlich war ich schon dort«, sagte sie darauf. »Es gibt da ein Zimmer mit einem großen Wandspiegel. Perfekt zum Zuschauen.«
Die Jalousie bestand aus horizontalen Holzlatten, durch deren Spalten die Nachmittagssonne schien und ein Streifenmuster aus Licht und Schatten über das Bett und den Körper der Frau warf. Max, der neben ihr lag, bemühte sich, sie nicht zu wecken, er lag ihr zugewandt, um ihr Profil aus unmittelbarer Nähe betrachten zu können, über das ein Streifen Licht fiel, den halb geöffneten Mund, die im Rhythmus des Atmens sich blähenden Nasenflügel, die dunklen Spitzen der nackten Brüste, zwischen denen winzige Schweißtröpfchen glitzerten. Die straffe Haut, die über dem Bauch weicher wurde, sich mit den Schenkeln teilte, und in deren Mitte das Geschlecht, aus dem langsam sein Samen auf das Laken sickerte, das leicht nach Schweiß roch und nach innigen Umarmungen.
Max hob den Kopf vom Kissen und betrachtete die beiden reglosen Körper im Spiegel, in einem großen, im Lauf der Jahre fleckig gewordenen Wandspiegel, der gut in das Zimmer und zu der einfachen Einrichtung passte: Kommode, Bidet, Waschschüssel und Wasserkrug, eine verstaubte Lampe und zusammengedrehte Stromkabel, die mit Porzellanhalterungen an der Wand befestigt waren. Dort hing auch ein verblichenes Werbeplakat: ein gelblicher Sonnenuntergang hinter violetten Pinien, der Touristen animieren sollte, Villefranche zu besuchen. Alles in allem eines dieser Zimmer, die für Handelsreisende, Justizflüchtlinge, Selbstmörder oder Liebespaare wie gemacht zu sein schienen. Ohne die Frau an seiner Seite und ohne die Lichtstreifen hätte dieser Ort Max einfach nur deprimiert, weil er ihn an ähnliche Absteigen erinnerte, in denen er nicht zum Vergnügen, sondern aus purer Not gastiert hatte. Mecha schien das alles nicht zu stören, sie schien zufrieden mit der schäbigen Kammer ohne fließendes Wasser, die sie betraten, nachdem die tranige Wirtin, die ihnen den Schlüssel aushändigte, vierzig Francs kassiert hatte, ohne einen Ausweis sehen zu wollen oder Fragen zu stellen. Mechas Stimme war rauer, kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatten; und Max, der das Fenster geöffnet hatte und gerade etwas über die angenehme Aussicht als Entschädigung für das triste Zimmer sagte, hielt überrascht inne, als sie sein verlegenes Gerede unterbrach, indem sie dicht an ihn herantrat, die Lippen halb geöffnet und schnell atmend, die Arme hob, sich das gestreifte Hemd über den Kopf zog und ihre blassen Brüste entblößte.
»Du bist ein so schöner Mann, dass es fast wehtut, dich anzusehen.«
Sie legte ihm einen Finger ans Kinn und drehte sein Gesicht zur Seite, um ihn weiter zu betrachten.
»Heute trage ich keine Kette«, sagte sie sehr leise.
»Schade«, brachte er nur hervor.
»Du bist ein Schuft, Max.«
»Ja ..., manchmal.«
Dann ergab eins das andere, ein vertracktes Zusammenspiel von Fleisch, Berührung und Feuchtigkeit. Als sie das letzte Kleidungsstück von sich geschleudert und Max die Tagesdecke heruntergerissen hatte, streckte sie sich auf dem Bett aus, und Max stellte fest, dass sie ungeheuer erregt war und bereit, ihn sofort zu empfangen. Nur keine Eile, sagte er sich und versuchte, einen Rest Klarheit zu bewahren und die Präliminarien in die Länge zu ziehen, weil er fürchtete, dass die Begierde, die in seinen Nerven vibrierte und seine Muskeln in schmerzhafte Zuckungen versetzte – er biss die Zähne zusammen, bis sie knirschten, und schnaufte vor Lust und unterdrückter Raserei –, sonst mit ihm durchgehen könnte. Neun Jahre ließen sich nicht in einer halben Stunde ungeschehen machen. Und
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