Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
nicht sein. Ob Mecha Inzunza nun lügt oder nicht – höchstwahrscheinlich lügt sie –, ist die ganze Sache nichts als ein riesiger, gefährlicher Unsinn.
»Guten Morgen.«
Trotz allem fällt es ihm nicht schwer, mit Jorge Keller ins Gespräch zu kommen. Damit hatte er noch nie Probleme, und Billard ist kein schlechter Anknüpfungspunkt. Max beherrscht das Spiel noch leidlich aus seiner Zeit als Hotelpage in Barcelona, denn damals pflegte er drei Peseten seines Trinkgeldes abzuzweigen, um in einer Spelunke im Rotlichtviertel Pool zu spielen: Huren vor dem Eingang, Zuhälter mit Krawattennadeln und elastischen Hosenträgern, verschwitzte, fettig glänzende Gesichter und Tabakrauch in grünlichem Licht, das unter mit Fliegendreck verkrusteten Lampenschirmen auf das Tuch schien, Hände, die qualmende Zigaretten hielten, während sie mit dem Queue hantierten, die Stöße der Kugeln gegen die Bande und gelegentliche Verwünschungen oder gotteslästerliche Flüche, die oftmals nichts mit dem Spiel zu tun hatten, sondern sich auf Geräusche von der Straße bezogen, wenn im Lokal Stille herrschte und draußen rennende Füße auf Hanfsohlen zu hören waren, die Trillerpfeifen der Polizei, vereinzelte Pistolenschüsse der Syndikalisten, das Aufsetzen von Gewehrkolben auf dem Pflaster.
»Spielen Sie Billard, Max?«
»Ein wenig.«
Jorge Keller hat ein freundliches Profil, und die Haarsträhne, die ihm in die Stirn fällt, unterstreicht seine ungezwungene, saloppe Erscheinung. Das Lächeln, mit dem er den Eindringling begrüßt, kontrastiert jedoch mit seinem distanzierten Blick, fest auf die Verläufe und Konstellationen der drei Elfenbeinkugeln gerichtet.
»Schnappen Sie sich einen Queue, wenn Sie Lust haben.«
Er spielt gut, bemerkt Max, methodisch und sicher. Wahrscheinlich weil er Schachspieler ist: der Überblick über Stellung und Raum, die Konzentration, das alles liegt Schachspielern ja quasi im Blut. Tatsächlich reiht der junge Mannseine Karambolagen mit verblüffender Leichtigkeit aneinander, als berechnete er die Positionen, noch bevor sie zustande kommen, und zwar viele Stöße im Voraus.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie auch darin so gut sind.«
»Sie können ruhig du sagen«, erwidert Keller.
»Ich wusste gar nicht, dass du so gut Billard spielst.«
»So gut bin ich nun auch wieder nicht. Das hier ist nicht dasselbe wie Dreiband zu zweit.«
Max geht zum Ständer und wählt einen Queue.
»Wollen wir weiter Amerikanische Serie spielen?«, fragt Keller.
»Meinetwegen.«
Keller nickt und setzt sein Spiel fort. Mit sanften Stößen lässt er die Kugeln entlang einer der Banden karambolieren, bemüht, sie immer möglichst dicht beieinander zur Ruhe kommen zu lassen.
»Es ist eine Art Konzentrationsübung«, sagt er, ohne die Kugeln aus den Augen zu lassen. »Man kann dabei gut nachdenken.«
Max sieht ihn interessiert an.
»Wie viele Karambolagen siehst du?«
»Komisch, dass Sie das fragen«, schmunzelt Keller. »Merkt man es sehr?«
»Ich verstehe nichts von Schach, aber es muss so ähnlich sein, stelle ich mir vor. Das Sehen von Spielzügen oder Karambolagen.«
»Ich sehe mindestens drei.« Jorge weist auf die Kugeln, die Ecken und die Banden. »Da und da ... vielleicht fünf.«
»Ist es tatsächlich wie beim Schach?«
»Eigentlich nicht. Aber es gibt Gemeinsamkeiten. In jeder Situation hat man mehrere Möglichkeiten. Ich versuche, die beste zu sehen und ihr zu folgen. Wie beim Schach ist es eine Frage der Logik.«
»Ist das Training für dich?«
»Training ist zu viel gesagt. Eine gute Übung. Es hält ohne großen Kraftaufwand geistig fit.«
Er richtet sich auf, nachdem ihm eine einfache Karambolage missglückt ist. Offenkundig ein Fehler aus Höflichkeit: die Kugeln liegen nicht weit auseinander. Max schiebt den Queue vor und lehnt sich über den Tisch, stößt und entlockt dem Elfenbein einen leisen Ton. Fünfmal prallt die Kugel gegen die Bande und ändert in einem akkuraten Winkel die Richtung.
»Sie stellen sich auch nicht gerade ungeschickt an«, versetzt der junge Mann. »Haben Sie viel gespielt?«
»Ein bisschen. In meiner Jugend öfter als heute.«
Max’ sechste Karambolage geht schief. Keller kreidet seinen Queue und beugt sich vor.
»Wollen wir jetzt Dreiband spielen?«
»Einverstanden.«
Die Kugeln schlagen nun kräftiger aneinander. Keller verknüpft vier Karambolagen in Folge, und mit der letzten bringt er Max’ Spielkugel absichtlich in eine schwierige
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