Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
erinnern.
»Und jetzt«, richtet dieser Mann das Wort an Max, »sagen Sie mir, wo das Buch des Großmeisters Sokolow ist.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, erwidert Max gelassen. »Ich habe mich nur bereit erklärt herzukommen, um dieses dumme Missverständnis auszuräumen.«
Der andere sieht ihn ausdruckslos an. Zu seinen Füßen steht eine pralle Aktentasche aus schwarzem Leder. Mit einer trägen Bewegung bückt er sich, hebt sie hoch und legt sie sich auf den Schoß.
»Ein dummes Missverständnis. So nennen Sie es?«
»Ganz genau.«
»Sie haben Nerven. Das meine ich ehrlich. Obwohl das bei jemandem wie Ihnen nicht weiter verwunderlich ist.«
»Sie wissen doch gar nichts von mir.«
Eines der Tentakel zeichnet eine Linie in die Luft, eine Art Fragezeichen.
»Wir wissen nichts? Da täuschen Sie sich aber gewaltig, Herr Costa. Wir wissen eine Menge. Zum Beispiel, dass Sie nicht der vermögende Herr sind, der Sie zu sein vorgeben, sondern der Chauffeur eines in Sorrent ansässigen SchweizerStaatsbürgers. Wir wissen auch, dass das Auto im Parkhaus des Hotels Vittoria nicht Ihnen gehört. Und das ist noch nicht alles. Wir wissen, dass Sie wegen Raub, Betrug und anderen kleineren Vergehen vorbestraft sind.«
»Das ist ungeheuerlich. Sie müssen mich verwechseln.«
Jetzt ist es wohl an der Zeit, Entrüstung zu zeigen, beschließt Max. Er macht Anstalten, sich zu erheben, spürt jedoch sofort die feste Hand des Mannes mit der schwarzen Lederjacke auf der Schulter. Es ist kein feindseliger Griff, stellt Max fest. Eher mahnend, als legte er ihm nahe, sich zu gedulden. Der mit dem roten Schnurrbart hat inzwischen die Aktentasche geöffnet und ihr eine Thermosflasche entnommen.
»Bestimmt nicht«, sagt er, während er den Becher abschraubt. »Sie sind Sie. Und ich bitte Sie, meine Intelligenz nicht zu beleidigen. Ich habe mir die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, um diesen Wirrwarr aufzudröseln. Und das betrifft auch Sie, Ihre Vorgeschichte, Ihre Anwesenheit hier während der Austragung des Campanella-Preises und Ihre Beziehung zu dem Kandidaten Keller. Alles.«
»Selbst wenn es wahr wäre, was habe ich mit dem Buch zu tun, nach dem Sie mich fragen?«
Der andere gießt heiße Milch in den Becher, nimmt aus einem Pillendöschen ein rosafarbenes Dragee und spült es mit einem Schluck hinunter. Er wirkt ausgesprochen müde. Dann ruckt er leicht mit dem Kopf, um Max zu bedeuten, dass Leugnen zwecklos sei.
»Sie waren es. Sie sind nachts aufs Dach gestiegen und haben es mitgenommen.«
»Das Buch?«
»Richtig.«
Max lächelt souverän. Abfällig.
»Einfach so?«
»Nicht einfach so. Sie haben sehr viel Arbeit investiert.Eine bewundernswerte Arbeit, das muss ich zugeben. Außerordentlich professionell.«
»Nun seien Sie bitte nicht albern. Ich bin vierundsechzig Jahre alt.«
»Darüber habe ich mich, als ich heute Morgen Ihre Akte bekommen habe, auch gewundert. Aber Sie scheinen gut in Form zu sein.« Sein Blick streift Max’ verschrammte Hände. »Obwohl Sie sich anscheinend doch ein bisschen wehgetan haben.«
Der Russe trinkt den Rest Milch aus, schüttelt den Becher und schraubt ihn wieder fest.
»Sie sind ein enormes Risiko eingegangen«, fährt er fort, während er die Thermosflasche verstaut. »Und damit meine ich nicht das Risiko, dass unsere Leute Sie im Haus hätten erwischen können, sondern das Abseilen auf den Balkon und all das ... Wollen Sie es immer noch nicht zugeben?«
»Wie sollte ich einen derartigen Wahnsinn zugeben?«
»Hören Sie zu.« Sein Tonfall ist vertrauenerweckend. »Diese Unterhaltung hat keinen offiziellen Charakter. Die italienische Polizei ist über den Diebstahl nicht unterrichtet. Wir haben unsere eigenen Sicherheitsmethoden ... Sie könnten alles vereinfachen, indem Sie das Buch wieder herausgeben, falls es sich noch in Ihrem Besitz befindet, oder uns verraten, wem Sie es ausgehändigt haben. Und uns sagen, wer Ihr Auftraggeber ist.«
Max’ Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Vielleicht wäre es ja eine Lösung, ihnen das Buch zurückzugeben; aber damit hätte er den Sowjets den schlagenden Beweis geliefert, dass sie mit ihrem Verdacht recht haben. Und eingedenk des Moskauer Umgangs mit Propaganda fragt er sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie ihre Version des Vorfalls öffentlich machten, um Max mit Jorge Keller in Verbindung zu bringen und damit den Herausforderer zu diskreditieren. Ein Skandal würde die Karriere des jungen Mannes zerstörenund ihm
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